Transnational gegen Gewalt an Frauen

»Nicht eine weniger!«

Die Bewegung Ni Una Menos wurde 2015 in Argentinien gegründet und hat sich seither global verbreitet – auch in München. Ihr Ziel ist es, Gewalt gegen Frauen sichtbar zu machen und das unterdrückende, patriarchalische System zu bekämpfen.

Elena Höck Ciprés und Theresa Brunnhuber

@niunamenosmunich
#orangetheworld

Kampagne von UN-Women gestartet, anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen und Mädchen.

Letztes Jahr in ganz Deutschland

Letztes Jahr in ganz Deutschland

wurden insgesamt 254 Frauen getötet

Erlitten 100.741 Frauen…

Letztes Jahr in ganz Deutschland

Erlitten 100.741 Frauen Verstöße gegen ihre persönliche Freiheit und 216.409 gemeldete Körperverletungen.

Wird im Durchschnitt…

Letztes Jahr in ganz Deutschland

Wird im Durchschnitt jede Stunde mindestens eine Frau durch ihren Partner körperlich verletzt.

Ist Bayern die zweite Region…

Letztes Jahr in ganz Deutschland

Ist Bayern die zweite Region die allgemein mehr Fälle von Gewalt gegen Frauen meldet.

Wurden 26.601 Frauen…

Letztes Jahr in ganz Deutschland

Wurden 26.601 Frauen, Opfer von Gewalt gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Belästigung, Missbrauch, Verstümmelung und Vergewaltigung.

Stoppt die Gewalt gegen Frauen!

Stoppt die Gewalt gegen Frauen!
Nicht eine Weniger!

Empoderamiento feminista

Ni Una Menos Munich wurde 2019 in München ins Leben gerufen.
Eine der Initiatorinnen ist Laura, sie kommt aus Argentinien und hat Architektur studiert. Sie hatte 2017 ein »feministisches Erwachen«, wie sie uns im Gespräch erzählt: Fortan hat sie private und gesellschaftliche Strukturen und Verhältnisse mit anderen Augen gesehen. Zunächst lebte sie für zwei Jahre in Berlin und ist dort auf die Gruppe von Ni Una Menos aufmerksam geworden. Als sie schließlich nach München zog, wollte sie in ihrer neuen Stadt ebenfalls eine feministische Anlaufstelle finden. Über Facebook stieß sie auf eine Gruppe mit einem anderen Namen, die an spanischsprachige Migrantinnen gerichtet war. Daraus ging später Ni Una Menos Munich hervor.

Rebeca kommt aus Mexiko, promoviert in Physik an der Technischen Universität München und ist mit einem gesellschaftskritischen Verständnis aufgewachsen. In ihrer Familie hat sie gelernt, gesellschaftliche Verhältnisse zu reflektieren. Dennoch war die Rollenverteilung zwischen ihren Eltern klassisch. In Deutschland hat sie als Migrantin in einem männerdominierten Studienfeld Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht (siehe: Männlichkeit).
In München wurde sie auf die gleiche Facebook-Gruppe wie Laura aufmerksam und war ebenfalls an der Gründung von Ni Una Menos Munich beteiligt.

Karen kommt ebenfalls aus Mexiko und ist in einer Arbeiterfamilie mit indigenen Wurzeln geboren. In ihrer Familie erlebte sie in Bezug auf Geschlechterverhältnisse eine traditionelle Rollenverteilung. Erst in der Universität fing sie an, sich mit Frauen zu solidarisieren. Die Juristin kam aufgrund eines Jobwechsels ihres Mannes nach München. Heute arbeitet sie als ausgebildete Kinderpflegerin in einem bilingualen Kindergarten, da ihr Jura-Studium in Deutschland nicht anerkannt wird. Sie lernte Laura und Rebeca auf einer feministischen Demonstration in München kennen.

Karen, Laura und Rebeca am 21.11.2020 auf einer Kundgebung zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen auf dem Geschwister-Scholl-Platz in München. Organisiert zusammen mit Frau-Kunst-Politik.

…un grito de fuego

»…un grito de fuego desde el corazón de la Poesía contra la violencia…
»… ein Feuerschrei aus dem Herz der Poesie gegen Gewalt…

…que adquiere multiples

… que adquiere múltiples formas, entre ellas, la más inadmisible: los asesinatos de cientos de mujeres. …
die vielfältige Formen annimmt, darunter die inakzeptabelste: die Ermordung von Hunderten von Frauen.

La frontera del norte…

La frontera del norte mexicano es una vieja cicatriz que sangra y no sanará hasta…
Die Grenze im Norden Mexikos ist eine alte Narbe, die blutet und erst heilen wird…

…que no haya…

…que no haya ¡ni una muerta más!.«
…wenn es keine einzige ermordete Frau mehr gibt«.

Zitat von Rebeca (10.11.20), frei übersetzt:

»Wir leben in einem patriarchalen, kapitalistischen, postkolonialen, eurozentrischen System, um einige Zuschreibungen zu nennen. Das Konzept der Intersektionalität ist ein Werkzeug, das dich verschiedene Realitäten wahrnehmen lässt. Es lässt dich sehen, dass es Diskriminierung und Unterdrückung auf verschiedenen Ebenen gibt.«

Anderes Zitat von Rebeca (10.11.20), frei übersetzt:

»Feministinnen wollen nicht die gleichen Privilegien haben wie Männer. Wir wollen nicht das Recht haben, andere zu unterdrücken. Wir wollen das unterdrückende System abschaffen, damit alle Menschen frei und in Würde leben können.«

Zitat von Karen (11.12.20), frei übersetzt:

»Ich hab mich nicht getraut, mich ›Feministin‹ zu nennen und traue mich fast immer noch nicht. Feminismus ist ein andauernder Prozess. Ich muss mir noch verzeihen, dass ich mich früher schlecht gegenüber anderen Frauen benommen habe oder ich muss noch bewusster darauf achten, welche Musik mir gefällt. Ich lerne noch viel dazu und arbeite daran. Ich versuche auch bewusster einzukaufen, also nicht bei Marken, die Frauen zum Beispiel in Indien ausbeuten. Ich würde mich gerne ›Feministin‹ nennen, aber noch verdiene ich diese Bezeichnung nicht.«

Zitat von Laura (10.11.20), frei übersetzt:

»Wie wir zu Feministinnen geworden sind? Also ich bin in Argentinien geboren. In den Strukturen, in denen ich aufgewachsen bin, wurde mein Denken eher neoliberal geprägt. Erst später öffnete ich meine Perspektive und stellte die mir beigebrachte Form des Denkens infrage und alles was ich wahrnahm. Es war ein radikaler Wandel. Ich kam in Konflikt mit Personen, die mir nahestanden. Aber es war meine Entscheidung. Ich hatte das Gefühl, mich hat auf einmal ein violettes Licht erleuchtet (lacht). Mir wurde immer bewusster, was alles falsch läuft in diesem System. Ich akzeptiere diese Seite von mir, weil ich dadurch als Mensch gewachsen bin.«

¡Vivas Nos Queremos!

Einer der wichtigsten Kämpfe, den Ni Una Menos auf globaler Ebene führt, ist der gegen Femizide. Das Wort Femizid beschreibt den Mord an einer Frau (nur) aufgrund ihres Geschlechts und stellt aus der Perspektive von Ni Una Menos den extremsten Ausdruck patriarchaler Gewalt dar (siehe: Sexismus). Die weltweit hohe Anzahl von Femiziden und von Frauen, die vergewaltigt, malträtiert und entführt werden, führte zu einer Erweiterung des Slogans »Ni Una Menos« um »Vivas Nos Queremos« (dt.: Lebend wollen wir uns). Auch hat die Brisanz des Themas über Ländergrenzen hinweg zur Folge, dass sich immer mehr Frauen in den vergangenen Jahren der Bewegung anschlossen und gegen sexualisierte Gewalt an Frauen protestieren.

Auf der nächsten Seite ist eine Performance zu sehen, welche ebenfalls aus Lateinamerika stammt – sie wurde von dem chilenischen Künstlerinnen-Kollektiv »Las Tesis« ins Leben gerufen und zum ersten Mal am 20.11.2019 in Valparaíso (Chile) präsentiert.

Seither ging die Performance »Un violador en tu camino« (dt.: Ein Vergewaltiger auf deinem Weg) weltweit viral: Sie wurde seither in unterschiedlichen Ländern aufgeführt und der Text in verschiedenste Sprachen übersetzt (siehe: Sprache). Mit »Vergewaltiger« ist in diesem Fall der Staat und die Gesellschaft gemeint, die aus der Perspektive der Aktivistinnen die Unterdrückung der Frau zulassen und den Weg dafür ebnen.

Auch in München und in ganz Bayern gibt es sexualisierte Gewalt, welche Ni Una Menos Munich aus migrantischer Perspektive sichtbar machen möchte: »Eines unserer Ziele ist es, das Bewusstsein in der Gesellschaft zu schärfen und die Perspektive des Feminismus in Deutschland zu erweitern, indem wir auf die verschiedenen Achsen der Unterdrückung hinweisen, die Frauen zusammen unterwerfen.« (Zitiert aus dem Manifest) (siehe: Intersektionalität).

Im Kampf gegen das Patriarchat, gegen sexualisierte Gewalt, Femizide und gegen die Straflosigkeit vieler Täter, führten auch wir, zusammen mit Ni Una Menos Munich am 21.11.2020 und am 25.11.2020 in München die Performance auf. >>> zur deutschen Übersetzung

Post 2

Post 3

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Post 3

Frauen aus der Gruppe NUMM Grün als Farbe der legalen Abtreibung, gepostet zum Aktionstag für legale Abtreibungen am 28.09.2020 auf deren Instagram-Account

Körperliche (Selbst-)Bestimmung?

Ni Una Menos Munich kämpft für körperliche Selbstbestimmung. Die Aktivistinnen engagieren sich zum Beispiel für reproduktive Rechte in Deutschland, wie die Abschaffung des Paragrafen 218, der Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert. Hierfür starteten sie am 28.09.2020 eine Social-Media-Aktion…

Gründe, Gedanken und Hintergründe zu ihrem Engagement teilen Rebeca und Laura in den folgenden Interviewausschnitten.

Ein weiterer Kampf von Ni Una Menos Munich für körperliche Selbstbestimmung gilt der Abschaffung von Pornografie und Prostitution. Dabei sprechen sie sich für das »nordische Modell« aus, das den Sexkauf auf lange Sicht verbieten möchte.

1999 erstmals in Schweden eingeführt, beinhaltet das »nordische Modell« folgende drei Punkte:
1) Entkriminalisierung der Prostituierten, 2) Kriminalisierung der Sexkäufer und Betreiber, und 3) Finanzierung von Ausstiegsprogrammen für Prostituierte.

Nicht eine weniger heißt viel(e) mehr

Ein weiteres wichtiges Ziel der Gruppe ist es, ein unterstützendes Netzwerk für die (migrantischen) Frauen zu bilden (siehe: Organisierung, Safe Space), um sich gegenseitig im Alltag zu unterstützen, zum Beispiel wenn es um arbeitsrechtliche oder bürokratische Themen geht. Es gibt eine WhatsApp-Gruppe, in der sich ausgetauscht wird. Zum Instagram-, Facebook- und E-Mail-Account der Gruppe haben alle Zugang und jede kann nach Absprache mit den anderen etwas posten, wenn sie möchte. Alle zwei Wochen findet ein virtuelles oder analoges Treffen statt, um sich auszutauschen. Zentral ist dabei das Konzept der »Sororidad« (dt.: Schwesterlichkeit) (siehe: Solidarität). Dazu gehört, die Gruppe möglichst offen und inklusiv zu gestalten: Da mittlerweile zum Beispiel auch eine Griechin und eine Italienerin dabei sind, wird auch auf Englisch statt nur auf Spanisch gesprochen – ein wichtiges Anliegen für Ni Una Menos Munich. Dieser Ansatz rührt auch von dem Selbstverständnis als einer transnationalen Bewegung, die Menschen unterschiedlicher Sprachen und Herkünfte zusammenbringt.

Nach dem Demonstrationszug durch München am 25.11.2020. Auch hier sichtbar: Orange als Farbe des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen und Mädchen (#ORANGETHEWORLD)

Nach dem Vortrag »Feminisierung der Armut« vom 23.10.2020 im Kult9 in München. Auch diese Veranstaltung fand in Zusammenarbeit mit Corina Toledo (vorne in weiß) von Frau-Kunst-Politik statt

Zukunftsvisionen

Um sich noch stärker überregional zu vernetzen, möchte sich Ni Una Menos Munich in Zukunft auch mit Mitstreiterinnen aus dem deutschsprachigen Raum, wie beispielsweise aus Berlin oder Städten in Österreich, in Verbindung setzen und austauschen. Eine größer werdende Bewegung, die transnational über Generationen hinweg verbunden miteinander den Kampf gegen Gewalt an Frauen führt, ist die größte Zukunftsvision der drei Initiatorinnen aus München. (siehe: Organisierung)

Ni Una Menos Argentinien
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Ni Una Menos Berlin
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Ni Una Menos Österreich
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Ni Una Menos Munich
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Autorinnen:
Elena Höck Ciprés und Theresa Brunnhuber

Quellen:
1) Gedicht von Susana Chávez auf Facebook-Seite von Ni Una Menos Munich: https://www.facebook.com/Ni-Una-Menos-Munich-104470351054813/?ref=page_internal
2) Manifest von NUMM auf Facebook-Seite von NUMM: https://www.facebook.com/Ni-Una-Menos-Munich-104470351054813/?ref=page_internal
3) Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau e.V.: Nordisches Modell. Verfügbar unter: https://www.frauenrechte.de/unsere-arbeit/themen/frauenhandel/nordisches-modell
4) Subtitel Video: Pressenza. International Press Agency. »Ein Vergewaltiger auf deinem Weg« – Chilenische Performance geht weltweit viral. Verfügbar unter: https://www.pressenza.com/de/2019/12/ein-vergewaltiger-auf-deinem-weg-chilenische-performance-geht-weltweit-viral/
5) Vivir Quintana und El Palomar: Canción sin Miedo. Verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=VLLyzqkH6cs
Bildquellen:
1) Die Plakate/Bilder aus Raum 2 wurden von den Aktivistinnen der Gruppe für die Demonstrationen vom 21. und 25. November 2020 entworfen
2) Illustriertes Bild Raum 5. Verfügbar unter: https://www.pinterest.jp/pin/561331541057690877/
3) Video der Performance aufgenommen von einer der Aktivistinnen auf der Demonstration vom 25.11.2020
4) Selbstaufgenommene Fotografien der gemeinsam besuchten Veranstaltungen