Interventionen in der Technoszene
»I’M NOT YOUR F*ING JUKEBOX«
Seit den Anfängen der Technoszene in München in den 1990er Jahren war diese von Geschlechterungleichheiten geprägt. In diesem Ausstellungsraum wird im Gespräch mit fünf Münchner Kulturschaffenden nachgezeichnet, wie sich männliche Dominanz in diesem Feld artikuliert und wie sich Geschlechterverhältnisse durch feministisches Engagement mit der Zeit verändert haben.
Enea Cocco
Von den Anfängen: Techno als Subkultur
Musik und jugendliche Subkulturen sind häufig eng miteinander verbunden. Progressive Jugendkulturen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich von der Kultur der Elterngenerationen abgrenzen und das Ziel verfolgen, alte gesellschaftliche Strukturen aufzubrechen und sich Freiräume zu verschaffen. Sie stiften damit eigene Identitäten und Wertvorstellungen sowie Zugehörigkeit. Über die gemeinsamen Merkmale bilden sich Szenen, die sich durch Kleidungsstile, Musikgeschmack, gemeinsame Aktivitäten, geteilte Räume und einen geteilten Lebensstil auszeichnen. Subkulturelle Szenen sind dabei immer auch an die dominante Kultur, von der sie sich abheben, rückgekoppelt. Ungleichheitsverhältnisse entlang ethnischer und sozialer Herkunft sowie Geschlecht finden sich darin auch dann wieder, wenn sie Teil dessen sind, was innerhalb der Szene ideologisch abgelehnt wird oder überwunden werden soll (Clark/Hall/Jefferson/Roberts 1991: 14ff).
Technoszenen gibt es in Deutschland seit Beginn der 1980er Jahre. Sie sind ein Phänomen urbaner Jugendsubkultur, das sich zu Beginn der 1990er Jahre mit rasanter Geschwindigkeit verbreitet, weiterentwickelt und ausdifferenziert hat. Insbesondere, was die musikalische Bandbreite anbelangt. So hatten in den Anfängen elektronischer Tanzmusik, in den Industriemetropolen der USA, unterschiedliche Orte spezifische Sounds, die von den Mitgliedern der Szene als akustischer Resonanzraum des Lebensgefühls an diesen Orten wahrgenommen wurde. Chicago hatte House und klang anders als der Techno aus Detroit oder der Sound aus New York. London klang schließlich anders als Berlin und Berlin anders als München. In diesem Sinne lassen sich die einzelnen Entstehungsgeschichten elektronischer Tanzmusik- und Technoszenen weder verallgemeinern, noch komplett voneinander lösen. Festzuhalten bleibt, dass elektronische Tanzmusik in Form von House und Techno ihre Wurzeln in der Geschichte von Discomusik hat, welche in direktem Zusammenhang mit dem Gay Liberation Movement der 1960er Jahre steht (vgl. Gillian 2007).
Ultraschall 2, Area 1
Ende der 1970er war Disco in den USA zu einem Milliarden-Dollar-Business geworden, was nicht ohne Aneignungsprozesse von homosexuellen und auch schwarzen Befreiungskämpfen durch eine von weißen Männern dominierte Musikindustrie vonstatten gegangen war. House und Techno, so unterschiedlich beide Musikstile sein können, haben gemeinsam, dass sie sich durch ein Verhältnis auszeichnen, das (Wieder-)Aneignungsbewegungen subkultureller städtischer Räume und die Verwendung neuer technologischer Möglichkeiten zur Musikproduktion vereint. Insbesondere die Verwendung von Samplern, Drum-Machines und Synthesizern stellt dabei schon früh auch eine Verbindung zu industrieller Musikproduktion dar, die zum einen in der Neugründung unzähliger Independent-Labels resultierte, zum anderen aber auch den Einzug des Massengeschäfts und seiner Marktförmigkeit herbeiführte. Letzteres geht auch nicht zuletzt darauf zurück, dass die musikalischen Einflüsse, die der Techno- und House-Musik zugrunde liegen, von einem interkontinentalen Austausch geprägt waren. Eurodisko, europäischer Synth-Pop und New Wave Musik aus Italien und Deutschland beeinflussten die neue elektronische Musik in den USA und umgekehrt. Für den später als Techno bezeichneten Sound gilt die deutsche Band Kraftwerk als Urfunke der Inspiration während House seine Wurzeln in Soul, Funk und Disco hat. Worauf sich im Folgenden bezogen wird, ist das Phänomen einer Tanzmusik, die sich in Europa seit dem Ende der `80er Jahre ausbreitet und für ihre nahtlosen Übergänge in DJ Sets bekannt wird (vgl. Sextro/Wick 2008).
Die Gesprächspartner*innen
In diesem Ausstellungsraum wird im Gespräch mit fünf Münchner Kulturschaffenden aus der elektronischen Tanzmusikszene ein Einblick in die Münchner Szene gegeben und exemplarisch nachvollzogen, wie Geschlechterungleichheiten darin verhandelt und durch feministisches Engagement bekämpft werden.
Meine Gesprächspartner*innen waren:
Lily Felixberger aka Lily Lillemor,
Vorstand Kunstzentrat e.V., DJ, Kuratorin Marry Klein Festival, WUT-Kollektiv
Katharina Ahrendt aka Carlos2 oder im Duo als Käthe&Haes
Veranstalterin der Reihe TurnTableTennis, DJ, WUT-Kollektiv
David Süß, Gesellschafter Harry Klein,
Vorstand im Verband der Münchner Kulturveranstalter, ehrenamtlicher Stadtrat Die Grünen – Rosa Liste im Rathaus
Peter Fleming,
Geschäftsführer und künstlerische Leitung Harry Klein
Peter Wacha aka DJ Upstart,
Geschäftsführer Rote Sonne, Teilhaber Optimal Records
Erklärung zu geschlechtersensibler Sprache im Ausstellungstext:
Der folgende Ausstellungstext ist in geschlechtersensibler Sprache verfasst und verwendet das Gendersternchen, auch Asterisk genannt. Damit wird darauf hingewiesen, dass die Kategorie Geschlecht sozial konstruiert ist und neben den binären Geschlechtsidentitäten männlich* und weiblich* auch nicht-binäre und intergeschlechtliche Personen mit einbezieht. Das Asterisk hinter den Begriffen männlich* und weiblich*, bzw. Männer* und Frauen*, bezieht sich auf den geschlechtlichen Ausdruck einer Person. Im Feld wird der Begriff DJ* stellenweise mit, stellenweise ohne Asterisk verwendet. Ich verwende diesen Begriff mit Asterisk, obwohl die*der DJ als englisches Wort an sich neutral ist, um darauf hinzuweisen, dass Sprache machtvoll wirkt und auch neutrale Begriffe mit einem Geschlecht identifiziert sein können.
Wie die Szene in München entstand…
Die Münchner Technoszene entwickelte sich aus den Ultraworld-Parties von Mitveranstalter DJ Upstart in der Kulturstation, einem autonomen Jugendzentrum in Oberföhring, heute das Kafe Kult, in dem hauptsächlich Punk-Konzerte stattfanden.
David Süß, der später zusammen mit Peter Fleming das Harry Klein gründen sollte, bezeichnet sich selbst als in der links-alternativen Szene und grünen Bewegung sozialisiert und politisiert und stellt diese Sozialisierung auch in Zusammenhang mit seinen Berührungspunkten zum Feminismus. Er trat im Kontext von Jugendszenen auch als DJ* auf. »Aber eher so Indie-Sound. Schon partykompatibel, aber von Punk bis alles was Krach und Spaß macht« (David Süß). Auf der Rückseite einer von einem Freund aus London mitgebrachten Kassette hörte er auf einer Party das erste Mal Techno, etwas völlig Neuartiges. DJ Upstart betrieb zu diesem Zeitpunkt bereits den Plattenladen Optimal Records und sieht sich verwurzelt in der Indie-, Punk- und New Wave-Musikszene. Beide kannten sich, weil David Süß seine Platten im Optimal kaufte, so auch nach dem Erweckungserlebnis mit der Kassetten-B-Seite und dem darauffolgenden Besuch seiner ersten Ultraworld. Davids erste selbstorganisierte Technoparty war eine Soli-Party unter dem Titel »Schweine ins Weltall« im Infoladen, dem autonomen Zentrum Münchens. Es sollte Geld für politische Aktionen gegen den 1992 in München stattfindenden Weltwirtschaftsgipfel gesammelt werden. Mit dem bevorstehenden Ende der Ultraworld Parties, weil diese sich finanziell nicht mehr stemmen ließen, taten sich David Süß, sein Bruder Peter und die Veranstalter*innen der Ultraworld, DJ Upstart und Dorothea Zenker, zusammen und eröffneten 1994 den Club Ultraschall in einer Zwischennutzung im alten Riemer Flughafen: Münchens erster reiner Technoclub und damit das Zuhause für eine eigene Szene. Technoparties hatte es in München auch in anderen Clubs gegeben, doch waren sie nicht programmatisch mit dem Veranstaltungsort verknüpft und somit auch keine nachhaltigen Räume in denen sich eine spezifische Szene entwickeln konnte.
Flyer/Programm Ultraworld
»Ich war da auch mit einem guten Freund von mir beim Planet vor der Tür gestanden. Da war so ein Eisengitter und eigentlich ein netter Türsteher und du kommst schon überhaupt nicht rein. Ja. Und der redet noch nicht mal mit dir. Ja und dann waren wir ne halbe Stunde gestanden bis der mal gesagt hat: ›It‘s a waste of time.‹ Und dann sind wir halt wieder gegangen und haben dann mal die Berliner gefragt die wir gekannt haben. Du, was ist denn da los?. Und dann haben die gesagt: Du, Planet das ist halt einfach ‚ne andere Szene. Ihr schaut da nicht so aus. Die haben da das Gefühl ihr passt da nicht rein. – Ja, warum nicht? – Ja, weil einfach 90 Prozent der Gäste sind halt queer. Und ihr seid straight. Da sind die einfach vorsichtig. […] Das ist einfach ‚ne Jugendkultur und Jugendkultur ist immer ein Stück weit politisch. Und hat ja eigene Codes. Und ich finde die Szene war schon immer sehr, sehr offen, also so wie ich gesagt habe, es hat halt einfach queere Clubs gegeben. Also ist ja klar, dass die offen ist. Und nicht mainstream-hetero-weiß.« David Süß
»Was ich aber schon sagen würde ist, dass es eine gewisse Technoszene gibt, die auf der ganzen Welt gleich ist. Das sieht man immer ganz gut daran, dass egal auf welcher Tanzfläche du stehst, ob du jetzt in Tel Aviv auf der Tanze stehst oder in Berlin oder in Ägypten irgendwo, wirst du immer so einen universellen Charakter an Mensch treffen, der irgendwie auf das gleiche Bock hat wie du. Also den Dancefloor sehe ich als universellen Raum, wo sich hoffentlich, irgendwo diskriminierungsbefreit Menschen treffen können. Klappt nicht immer, aber das findet man schon vorrangig in der Techno- Szene.« Lily Lillemor
Der Spirit. Revolutionäre Offenheit als Selbstverständnis
Die Musik und das damit einhergehende Lebensgefühl stehen Anfang der 1990er für revolutionär Neues, eine Aufbruchsstimmung, Gemeinschaftsgefühl, einer Art entgrenzter Körperlichkeit durch das gemeinsame Tanzen in der Auflösung von klaren Liedstrukturen, aber auch für Freiheit und Individualismus. Die Verbindung von Berliner Technoclubs und queeren Szenen (siehe: Queerfeminismus) werden dabei als exemplarisches Beispiel angeführt um, z.B. über die Erzählung des eigenen, vorläufigen Ausschlusses aus den Räumen einer queeren Feierkultur, auf die Offenheit und Progressivität der weiter gefassten Technoszene hinzuweisen und gleichzeitig auch als Orientierungspunkt für die eigene Unternehmung in München gesetzt. Die Teilgeber*innenschaft von Frauen* auf den Ultraworld-Parties und dann später auch im Ultraschall wird in einem Spannungsfeld erzählt. Das mit der Szene und der Musik verbundene Gefühl von Offenheit und Neuartigkeit wird als Grundlage für eine diverse Teilgeber*innenschaft betrachtet. Dass auch Frauen* aufgelegt, mitveranstaltet und sich eingebracht haben schien eine Selbstverständlichkeit zu sein, die keiner gesonderten Aufmerksamkeit bedurft hätte. Gleichzeitig wird, schon auf diese Anfangszeit bezogen, herausgedeutet, dass Frauen* in der Musikproduktion und der Musikindustrie elektronischer Tanzmusik wenig repräsentiert waren und nach wie vor sind, zumal »das Business immer schon eine Männerdomäne [war].« (DJ Upstart) Diese gläserne Decke zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die Wiener Künstlerin electric:indigo, welche öfters nach München gebucht wurde, 1998 als Reaktion auf diese Verhältnisse das Netzwerk female:pressure ins Leben rief, ein mittlerweile weltweites Netzwerk weiblicher* Künstler*innen in der elektronischen Tanzmusik (siehe: Organisierung).
Dennoch bleibt der Spirit (vgl. Schwanhäußer 2010), mit dem die Musik und die dazugehörigen Menschen als Szene identifiziert werden, bis heute als Anrufung erhalten und eröffnet einen empfundenen Möglichkeitsraum für einen realen Kulturwandel, frei nach dem Motto: Wenn nicht bei uns, wo dann?
Der Club als Zuhause der Szene. Zwischen Freiraum und Ausschluss
Wie der Überbegriff elektronische Tanzmusik schon verrät, ist ein Ort zum Tanzen elementare Voraussetzung und das Herz dieser Kultur. In München waren diese Orte, als Zuhause einer elektronischen Tanzmusikszene, bis in die 2000er Jahre Teile von Zwischennutzungen. Im Vergleich zum wiedervereinten Berlin der 1990er waren Freiräume in München unter anderem durch einen fortwährend wachsenden Mietendruck rar und die Möglichkeiten sich einfach auszuprobieren noch rarer. Das zeichnet sich ab 1996 auch für die Unternehmungen der Ultraschall-Crew ab, für die mit dem Umzug aus Riem in den damaligen Kunstpark Ost ein neues Kapitel begann. Spätestens hier kristallisiert sich heraus, dass einen Club zu betreiben eine wirtschaftliche Unternehmung ist. Der Name Ultraschall genießt zu dieser Zeit internationale Reputation, zumal durch das Netzwerk der Betreiber*innen schon zu Riemer Zeiten internationale Stars wie Jeff Mills gern gesehene Acts sind. Damit einher geht auch eine Entwicklung, die im Spannungsverhältnis von Freiraum und Ausschluss steht. Eine zunehmende Professionalisierung und Ökonomisierung ruft zeitgleich hervor, dass vergeschlechtlichte Ungleichheiten stärker zu Tage treten. Während die Popularität von elektronischer Tanzmusik als Feierkultur zunimmt, und damit auch der Nachwuchs an DJ*s und Produzent*innen ansteigt, die den Schritt vom Hobby zur Beschäftigung machen können, verschärft sich ein kulturell gegenderter Leistungsdruck. Der Schritt aus der Jugend- und Subkultur in einen professionalisierten Rahmen der Sichtbarkeit bleibt häufig männlichen* Personen vorbehalten. Das heißt nicht, dass weibliche* Akteur*innen in der elektronischen Tanzmusik, sowohl als DJ*s als auch als Produzent*innen oder Labelbesitzer*innen nicht vorhanden wären, Zugänge und Repräsentationen stagnieren oder schwinden jedoch. Nicht umsonst wird aus dem Feld mehrfach der Vergleich mit den Debatten um fehlende Frauen* in Führungspositionen von Unternehmen bemüht.
Ultraschall 2001
Männliche Personen an entscheidenden sozialen Positionen vorzufinden, ist eine Problematik, die sich auch in der mittlerweile gewachsenen Industrie rund um elektronische Tanzmusik nicht von der patriarchalen Struktur der Gesamtgesellschaft unterscheidet (siehe: Sexismus). Die Arbeit von Frauen* findet auch in Nachtclubs seltener auf der Bühne, die in diesem Fall das DJ*-Pult ist, statt. Zu häufig sind die Räume, die notwendig wären eigene Unternehmungen zu starten bereits von männlichen* Unternehmer*innen geführt. Und auch wenn es Frauen* gibt die erfolgreiche Booking-Agenturen führen, so bleibt die Nachfrage des Publikums oft maßgebend dafür, welche Künstler*innen vermittelt werden.
Abseits des künstlerischen Betriebs arbeiten Frauen* häufig an der Bar, der Kasse oder der Garderobe, oder sind für die fortlaufende Reinigung der Toiletten zuständig. Sie sind also in ungleichem Maße beschäftigt, um Care-Arbeit zu leisten.
Nicht zuletzt dieses Verhältnis und dessen Sichtbarkeit, bestärkt auch gängige Geschlechterbilder, nach welchen Frauen* keinen natürlichen Zugang zu Technik hätten. Hierdurch wird weiblichen* Personen die Voraussetzungen für qualitativ hochwertige künstlerische Leistung im technischen Handwerk des Auflegens und der Musikproduktion mit Geräten und Computern abgesprochen (vgl. Bittermann 2021).
Harry Klein in den Optimolwerken
Wer wen kennt, der wen kennt, die wen kennt, der …
Ein dichtes Netzwerk aus den beiden aufeinander folgenden Ultraschall-Clubs und deren Betreiber*innen, ihren festen DJ*s, die in der Münchner Szene verwurzelt sind sowie über München hinausreichende Szene-Prominenz, und Unternehmungen, wie eigenen daraus hervorgegangenen Labels, bildet die wirtschaftliche und auch kreative Grundlage der Münchner Szene und damit auch des Münchner Sounds in den 1990ern und bis in die Anfänge der 2000er Jahre.
DJ Upstart betreibt bis heute den Plattenladen Optimal Records sowie das einschlägige Record-Label Disko B, das zum Independent Label SubUp Records gehört. Peter Fleming, im Ultraschall I noch Gast, im Ultraschall II als Türsteher und Booker involviert, und später Mitgründer des Harry Klein, erzählt, dass es neben Dorothea Zenker keine Clubbetreiberin in der Münchner Szene gegeben habe, und weist damit auf eine strukturelle Problematik hin. In einem Netzwerk aus Veranstalter*innen, Clubbetreiber*innen, Booker*innen, DJ*s und Producer*innen sind die meisten Schlüsselpositionen männlich* besetzt.
Insbesondere in der Kulturbranche und Kreativ-Industrie, für die nach wie vor persönliche Netzwerke von höchster Bedeutung sind, lässt sich über das Prinzip von Männerseilschaften erklären, wie sich Geschlechterungleichheiten verfestigen. Dieser Umstand wird von allen Gesprächspartner*innen problematisiert und ist ein Beispiel für die kulturellen Auswirkungen hegemonialer Männlichkeit.
»Es kam irgendwie ganz einfach [dazu], dass Richie von Pasta und Sven vom Pimpernel eines Tages bei mir aufkreuzten und mich gefragt haben, sie hatten da eine Location an der Hand, ob ich Interesse habe da miteinzusteigen. Und ich habe damals schon wieder was gesucht, das war drei Jahre nachdem das Ultraschall geschlossen hatte und Dorle und ich uns von den Süß Brothers und Peter Fleming getrennt haben, mit denen wir vorher eng zusammengearbeitet haben. […] Und ja dann kam dieser Ruf und dann gab‘s diese Location, das Fortuna. […] Also wo die Rote Sonne heute ist, war früher eine bekannte Lesbendisko in München, die pleitegegangen ist, Mietschulden und so weiter. Die Frau Schmidt, die hatte danach eine Tierhandlung aufgemacht. Leider ist das nicht gelaufen, das Ding. Und wir haben das Glück gehabt die Location zu bekommen.« DJ Upstart
»Was ich als Kulturschaffende in einem größeren System beantworten kann, ist das Thema Machtstrukturen, alte Machtstrukturen in der Lokalpolitik. Also ich hatte so einen ganz unangenehmen Vorfall dieses Jahr. Und zwar wollte ich Geld beantragen für mein Kinderprojekt, und das mache ich nicht nur bei der Stadt, also beim Kulturreferat, sondern das mache ich auch bei den Bezirksausschüssen. […] Ich wollte 5000 Euro haben, was wirklich ein sehr, sehr geringer Betrag ist. Und der BA-Vorsitzende hat mich in einer Sitzung komplett diskreditiert, der hat mich komplett auseinandergenommen verbal. Ich bin dem halt schon länger ein Dorn im Auge, warum auch immer, ich glaube, der kann einfach mit jungen Frauen nicht, die halt irgendwie Ideen haben. Und der hat seine Machtposition als Vorsitzender ausgenutzt, um mir das Geld zu verweigern. Und ich habe das auch an die große Glocke gehängt. Ich habe ja auch meine Verbindungen, das ist ja alles nicht umsonst, mein ganzes Netzwerk. Sogar einer Landtagsabgeordneten habe ich das erzählt […] und die fand das dann ganz interessant. Also es ist gar nichts passiert, also der Typ wurde jetzt nicht seiner Position enthoben. Aber auch das zeigt ja wieder, dass er sich seiner Position sehr sicher sein kann, er wird gestützt von Lokalpolitiker*innen, er wird geschützt von den eigenen Mitgliedern im BA und so weiter.« Lily Lillemor
Austausch und Vernetzung als Kernelement für Kulturschaffende. Männlich dominierte Netzwerke setzen sich durch.
Exemplarisch dafür ist auch die Erzählung zur Gründung des Clubs Rote Sonne. Als 2003 das Ultraschall II in der Zwischennutzung im Kunstpark Ost schließen musste, trennten sich DJ Upstart und Dorothea Zenker von David und Peter Süß und Peter Fleming. Während David Süß und Peter Fleming auf dem Optimolgelände den Club Harry Klein eröffneten, dauerte es bei DJ Upstart und Dorothea Zenker bis 2006, bis sie einen neuen Club eröffneten.
Hegemoniale Männlichkeit als eine systematische Bevorteilung männlicher* Personen ist eine sich selbst erhaltende Struktur, so auch merklich dadurch, dass bevorteilte Individuen sich in relevanten Positionen finden, um Zugänge, Ressourcen und Teilhabe durch ihre Entscheidungen zu verwalten. Dabei gilt dies genauso für die Kulturpolitik einer Stadt, wie für den privatwirtschaftlichen Bereich, zumal beide Bereiche häufig eng miteinander verwoben sind. Das erzählt auch Lily Lillemor, Kulturschaffende und DJ* in München, als Künstler*in organisiert im queerfeministischen DJ*-Kollektiv WUT und im Vorstand des Kunstzentrat e.V. aktiv.
Klingt der Mainstream männlich?
Bei der Münchner Technoszene von einem Mainstream zu sprechen bedarf einer genaueren Erklärung. Es handelt sich nicht um einen Mainstream im Sinne von Popmusik. Dennoch hat sich rund um elektronische Tanzmusik eine vergleichbare, wenn auch wirtschaftlich etwas schwächere, globale Struktur gebildet. Es gibt internationale Größen und Bookings, aber auch eine szenetypische Dynamik, die eine insgesamt zugänglichere Teilgeber*innenschaft durch eine enge Anbindung an die lokalen Räume ermöglicht. Ab Mitte der 2000er hat München mit der Roten Sonne und dem Harry Klein zwei Technoclubs von internationalem Format, was die Reputation und die dort spielenden Künstler*innen angeht. Den Club als wirtschaftliches Unternehmen zu führen geht auch mit den Dynamiken eines Marktes einher. Spätestens hier zeichnet sich ab, dass neben den Bookings großer Namen, zu denen auch Frauen* gehören, eine engmaschigere Eingrenzung dessen, was elektronische Tanzmusik sein kann, stattfindet und damit auch ein Teil des revolutionären, offenen Spirit, vor allem aber des politischen Potenzials verloren zu gehen scheint. Neben dem männlich* dominierten Musikgeschäft wird hier auch eine typische Münchner Mentalität vermutet, die mit Konventionellem gut zufrieden zu stellen sei, Experimentelles aber ablehne. Die Begriffe konventionell und experimentell stehen hier auch für eine vergeschlechtlichte Chiffre, in der konventionell als männlich* und wirtschaftlich erfolgreich gelesen werden kann, während experimentell als weiblich* und unwirtschaftlich gelesen wird.
Die bestehenden Stereotype, mit welchen auch die Identifikation von Technik und Handwerk als männlich* einhergeht, schlagen sich darin nieder, dass Frauen* weniger gebucht, im Verlauf einer Nacht schlechter platziert und schlussendlich auch schlechter bezahlt werden.
Facts 2020. Info Grafik by Ale Hop
Harry Klein goes Marry Klein!
Ebenso im Jahr 2006 entschließt sich Peter Fleming, der in Zusammenarbeit mit dem female:pressure-Netzwerk schon einige Male female:pressure-Partynächte im Harry Klein veranstaltet hatte, etwas gegen die Unterrepräsentation von Frauen* in der Münchner Szene unternehmen zu wollen. Die Idee: ein kompletter Monat female:pressure im Harry Klein. Das Ziel ist klar formuliert feministische Sichtbarkeitspolitik zu betreiben, wie sich dem Vorwort von electric:indigo in einer eigens entworfenen Broschüre entnehmen lässt. In Zusammenarbeit mit dem feministischen female:pressure-Netzwerk wird ein Monatsprogramm entworfen, das alle Spielzeiten für DJ*s und Lichtkünstler*innen umfasst, sowie ein Magazin in 10.000-facher Auflage verlegt, das den Titel trägt: „MARRYKLEIN. Feministischer Monatsbote des elektronischen Clubs Harry Klein“ Darin werden alle Künstler*innen vorgestellt und interviewt. Das Marry Klein-Festival ist geboren – und verabschiedet sich schon nach einem zweiten Versuch 2007 wieder für weitere sieben Jahre von der Bühne des Münchner Nachtlebens.
»Wir haben ja das erste Marry Klein 2006 und 2007 gemacht. Wir haben es danach aufgehört! Und zwar weil wir gesehen haben, dass es bei den Leuten nicht ankam, die haben das nicht verstanden. Oder wir konnten es nicht transportieren. Also wir haben zwar Flyer dazu gemacht, wir haben sogar richtige Broschüren dazu gemacht, aber das ist nicht verstanden worden, ist nicht angenommen worden. Erst als wir dann 2014 neu angefangen haben damit und auch den Kontakt zum Kulturreferat hatten, bisschen Förderung bekommen haben – nicht viel aber ein bisschen – und somit auch ein Rahmenprogramm begonnen haben zu machen, ein Bildungsprogramm, Workshops, Diskussion, so drum herum einen Monat, da hat es mehr mit dem Verständnis angefangen. Und man muss natürlich rechnen, zwischen 2007 und 2014 ist ja nochmal ’ne lange Zeit.« Peter Fleming
Cover Marry Klein: Feministische Monatsbote des elektronischen Clubs Harry Klein.
Unsafe spaces? Der Club als (un)sicherer Raum des Körperlichen.
Das Nachtleben wird erzählt als eine Sphäre, in der Körperlichkeit und Sexualität sehr gegenwärtig sind. Darin nehmen bestimmte Formen von Männlichkeit für nicht-männliche Personen immer auch eine bedrohliche und bisweilen gefährliche Rolle ein. Die dunkle Tanzfläche und das Tanzen selbst, aus dem Feld auch bezeichnet als Gruppenkuscheln, sowie häufig fehlendes Wissen bei Betreiber*innen, Team und Besucher*innen schaffen leicht einen täterschützenden Raum.
Sexuelle Übergriffe und Belästigung betreffen dabei nicht ausschließlich Besucher*innen sondern ebenso das Personal. Weibliches* Personal, von der Barkraft bis zur DJ* erleben Übergriffe, sowohl aus dem Publikum als auch von männlichen Kolleg*innen und Vorgesetzten.
Die Konzepte, um im Club für die Sicherheit der Feiernden und das Gelingen der Nacht angeführt werden, beschränken sich lange Zeit weitestgehend auf interne Aushandlungen, Täter des Ladens zu verweisen und auf eine aufmerksame Türpolitik. Seit 2013 gibt es in der Roten Sonne und dem Harry Klein eine Zusammenarbeit mit dem Frauennotruf München, in Form von Schulungen für das Personal, sowie einer Kommunikationskampagne durch Plakate mit der Aufschrift »Nein heisst nein.«
Mit gefährlicher Männlichkeit geht einher, dass als weiblich* gelesene Körper zu Objekten gemacht werden. Im Zusammenspiel mit dem für das Nachtleben typischen Konsum von Alkohol und Drogen sinkt die Hemmschwelle für Belästigungen und Übergriffe. Der Versuch, Menschen durch das heimliche Verabreichen hochdosierter Drogen wehrlos zu machen, stellt dabei eine große Gefahr dar.
Formen von Männlichkeit, die mit Gewalt assoziiert sind, werden als grundlegender Zustand und Problem erzählt, das sich selbst reproduziert:
»Und leider, das muss man schon sagen, es ist schon ein stückweit ´ne scheiß Welt, wo viel Ärger, der passiert, eigentlich der meiste Ärger oder der ganze Ärger geht einfach von Männern aus. Ja, auch nachts. Und dem kannst du oft nur begegnen, wenn du andere Typen dagegen stellst. Auch an der Tür, weil‘s auch einfach mal körperlich werden kann. […] Man könnte natürlich überlegen: Wie geht‘s denn anders? […] Wir haben‘s damals einfach nicht geschafft. Waren vielleicht auch gedanklich nicht so weit.« David Süß
(Wieder)Aneignungen: Sich die Nacht zurückholen!
Formen von Männlichkeit als Gefahrenfaktor und Ausschlussmechanismus werden als strukturelles Problem erkannt, das aus sich selbst heraus nicht gelöst werden kann. Um ausschließende und gewaltvolle Strukturen aufzubrechen ist die Expertise und das Wissen von Personen notwendig, die von den Folgen hegemonialer Männlichkeit und heterosexueller Norm betroffen sind. Ein*e wichtige*r Akteur*in in der Münchner elektronischen Musikszene ist das queerfeministische DJ* Kollektiv WUT.
Demo Video WUT-Kollektiv
Die Arbeit der Wüter*innen: Interventionen, Awareness und Empowerment
Wie aus dem Selbstverständnis der Gesprächspartner*innen hervorgeht ist der Anspruch des WUT-Kollektivs, sich die Nacht und den Club als einen Raum des Feierns, der Entgrenzung und der individuellen und künstlerischen Freiheit (zurück) zu erobern.
Der Spirit soll neu vermittelt, für alle Menschen (wieder) zugänglich gemacht und dadurch gerettet werden, dass ihm durch queerfeministische Politik neues Leben eingehaucht wird.
Der Kampf gegen die sexistische Normalität im Nachtleben beruht auf Empowerment (Ermächtigung) und Awareness (Achtsamkeit).
Der Einsatz von Awareness-Teams auf WUT-Veranstaltungen ist eine Form feministischer Praxis. Die Teilgeber*innen des Kollektivs wechseln sich schichtweise ab und sind durch z.B. leuchtende Armreifen erkennbar. Durch ihre Sichtbarkeit soll übergriffigem Verhalten einerseits vorbeugt werden, andererseits eine sensible Anlaufstelle bei Vorfällen unmittelbar erreichbar sein. Auf diese Weise wird Fürsorgearbeit in die strukturellen Abläufe einer Veranstaltung integriert um sie inklusiver für alle Menschen zu machen.
Der Kampf um sicherere Räume (siehe: Safe space) und gegen die Objektifizierung weiblicher* Körper ist auch ein feministischer Kampf um körperliche Selbstbestimmung. Entgegen der gängigen Strategie, männlicher* Gewalt ebenjene entgegenzusetzen, sind Soundinterventionen Teil des Awareness-Konzepts von WUT. Das Unterbrechen der Party, deren Spirit in der elektronischen Tanzmusik in der Unterbrechungslosigkeit und Entgrenzung liegt, schafft den Raum Übergriffe jeglicher Form zu adressieren und zu einer Angelegenheit aller Anwesenden zu machen, sowie eine sofortige Konfrontation mit Täter*innen zu ermöglichen, falls erwünscht.
Gender Pay-Gap und schlechtere Platzierungen im Lineup sind genauso Ausdruck von Geschlechterungleichheit, wie das Absprechen von Professionalität und Ernsthaftigkeit der künstlerischen Leistung von Frauen*. Diese drücken sich neben physischen Übergriffen, die gegenüber männlichen* DJ*s undenkbar scheinen, auch in verbalen Übergriffen, wie dem Ansprechen weiblicher* DJ*s bei der Arbeit aus. Während männliche DJ*s durch Personenkult zu Autoritätspersonen stilisiert werden, gilt diese Wertschätzung gegenüber nicht-männlichen* Personen selten. Diese Autorität kann sich durch Intervention (wieder)angeeignet werden. Der Slogan einer Soundintervention, produziert von den Wüter*innen Bi Män und Kim_Twiddle, ist z.B.: »I’m not your f*cking Jukebox!«, der gespielt wird, wenn DJ*s um persönliche Musikwünsche gebeten werden.
Awareness-Flyer und Feministischer Bauchladen, WUT-Kollektiv
Feministische Praxen von WUT
Zur Praxis von Awareness-Arbeit gehört auch eine gewissermaßen aufsuchende Aufklärungsarbeit. Der Club und die Party werden so zu einem Gesamtraum, der, neben des künstlerischen Inputs in Form von Musik und der Möglichkeit zu Tanzen, auch inhaltliche feministische Aufklärungsangebote beinhaltet. So z.B. in Form des feministischen Bauchladens, einer Anlaufstelle für Austausch und Aufklärung über körperliche Selbstbestimmung, sicheres Feiern, queerfeministisches Verständnis von Inklusivität und Achtsamkeit, sowie Sexualaufklärung. Es gibt Flyer, Aufkleber, Literatur, Filmempfehlungen über queeres Leben und die Möglichkeit mit Teilgeber*innen des Kollektivs ins Gespräch zu kommen. Diese Form von Sorgearbeit geschieht allerdings nach wie vor auf freiwilliger Basis, seitens der in einem Club Veranstaltenden. Es gibt bislang keine miteinbezogenen Posten im wirtschaftlichen Ablauf seitens der Räume selbst.
Das Kollektiv WUT selbst steht in enger Verbindung zu den Räumen und Unternehmungen des Harry Klein. So wird von Teilgeber*innen, sowie von Seiten des Harry Klein erzählt, dass durch Wissensaustausch in den seit 2014 neu aufgenommenen Marry Klein-Festivals die Relevanz von Netzwerkarbeit und kollektiver Praxis in der Technoszene letztlich zur Gründung des Kollektivs beitrug. Mittlerweile sind das Format Marry Klein und Teile der Arbeit des WUT-Kollektivs inhaltlich miteinander verbunden. Das Harry Klein bietet die Räume und Möglichkeiten Veranstaltungen in einem professionellen Rahmen zu organisieren, das Kuratorium des Marry Klein-Festivals liegt in der Hand von Lily Lillemor, Teilgeber*in des WUT-Kollektivs.
Dadurch entsteht die Möglichkeit, aus dem Netzwerk des Kollektivs feministische Sichtbarkeitspolitik zu betreiben. Das Kollektiv als lose Struktur mit über 140 Teilgeber*innen kann so auf den Pool aus DJ*s zurückgreifen, der sich mitunter durch eigene female* DJ* Workshops und die eigene Vernetzungsarbeit speist. So kann aktiv Raum für Empowerment von female*, non-binary, trans* und inter* DJ*s aus dem Kollektiv gestaltet werden.
Garry Klein – Ne schwule Party
Als eine Art Schutzraum für ein schwules Publikum kann auch die 2010 von Peter Fleming ins Leben gerufene Veranstaltung Garry Klein gesehen werden. Im Verlauf der 1990er und 2000er Jahre schrumpft die Anzahl queerer Lokale in München von knapp 60 auf mittlerweile etwa zehn.
Auch hier spielen Mechanismen von Ein- und Ausschluss eine tragende Rolle, zumal die Veranstaltung sich erst mit der Zeit von einer schwulen zu einer queeren Veranstaltung entwickeln konnte. Die ursprünglich auch aus dem Feld identifizierte Verbindung von queeren Szenen zu elektronischer Tanzmusik schien mit dem Verlust des revolutionären Spirit, zumindest in München, ebenso ein Stück weit verloren gegangen und wurde hier womöglich neu wiederbelebt.
Dass aus einem Schutzraum für schwule Männer aber ein bunter Safe Space für alle queeren Menschen werden soll, bleibt bis heute fraglich und wird im Feld sehr unterschiedlich beleuchtet.
Festzuhalten bleibt, dass sich wohl mehr oder weniger zeitgleich mit der Wiederaufnahme des Marry Klein-Festivals als einer Plattform für Frauen*, auch das Publikum der Garry Klein-Veranstaltungen diverser gestaltet.
Aufkleber Marry Klein und Plakat Garry Klein
Logo female* DJ Workshop, WUT-Kollektiv
Aus dem Feld wird erzählt, dass die Bildung von Kollektiven als szenetypische Organisationsform in den letzten Jahren wieder zugenommen hat. Ob dabei Akteur*innen wie das WUT-Kollektiv maßgebliche Triebkraft sind, oder einfach Teil dieser Entwicklung kann dabei nicht festgestellt werden. Was jedoch deutlich wird, ist, dass über Kollektive als Zellen einer größeren Netzwerkstruktur gemeinschaftliche Praktiken der Aushandlung und Repräsentation zunehmen und damit Handlungsspielraum für das platzieren politischer Themen eröffnet wird (siehe: Organisierung).
Hier ist es wichtig zu erwähnen, dass die Praxis der Kollektivbildung und Vernetzung wie im Falle von WUT nicht von einem Moment auf den anderen erfolgt ist, sondern dass auch hier Wissensaustausch und Vordenker*innen eine wichtige Rolle spielen.
Die Idee z.B. im Namen des WUT-Kollektivs unterschiedliche Räume, zu denen Institutionen wie das Harry Klein oder die Rote Sonne gehören, nicht nur zu bespielen, sondern diese mit einer queerfeministischen Agenda zu gestalten und somit neu zu schaffen, ermöglicht es die eigenen Themen im alltagskulturellen Ablauf des Feierns zu platzieren und sichtbar zu machen. Dies wiederum kann von Clubbetreiber*innen aufgegriffen und in die Steuerung ihrer Veranstaltungspolitik eingespeist werden, wie mir Peter Fleming erzählt. In der Unternehmung eine Genossenschaft Münchner Veranstalter*innen zu gründen verweigert er die Zusammenarbeit mit reinen Männer*kollektiven. Diese Praxis bleibt dabei nicht unkritisch zu betrachten, zumal sich durch eine Steuerung von oben hierarchische Verhältnisse nicht auflösen lassen. Frauen*quoten in Lineups und Kollektivstrukturen werden dabei dahingehend problematisiert, als dass sie einem tatsächlichen Kulturwandel vorbeugen und den eigentlichen Ausschluss durch das Absprechen von Professionalität und künstlerischer Qualität reproduzieren. Gleichzeitig werden die bestehenden Netzwerke und Strukturen der Münchner Clublandschaft und des Nachtlebens als derart männlich* dominiert erzählt, dass eine Steuerung im Sinne von Quoten notwendig zu sein scheint.
Andere Räume und Konzepte
Die Zusammenarbeit mit Räumen wie dem Harry Klein ermöglicht feministische Politiken im Rahmen der etablierten Szene. Das ist insbesondere deshalb wichtig, weil in München wenige andere Freiräume zur Verfügung stehen. Ein genauso wichtiger Teil feministischer Politiken ist aber auch das unabhängigere Gestalten und besetzen eigener Räume und eigener Veranstaltungskonzepte. Ein Beispiel hierfür ist das von Carlos2 zusammen mit einem guten Freund veranstaltete Turntable Tennis im Import Export. Hier handelt es sich um seinen städtischen Raum, der durch Vereinsträgerschaft mitverwaltet ist. Der Trägerverein ist der Kunstzentrat e.V., in dessen Vorstand auch Lily Lillemor aktiv ist.
Das Turntable Tennis ist eine monatliche, zeitweise auch zweiwöchige, Veranstaltung mit offener Liste, in die sich jede*r die*der möchte eintragen kann um 40 Minuten lang aufzulegen. Doppelte Eintragungen sind nur möglich, wenn Plätze freibleiben. Währenddessen können alle anderen Besucher*innen Tischtennis spielen, sich austauschen und feiern.
Das Konzept beruht darauf einen Raum zu schaffen, in dem sich ausprobiert, vor Publikum gespielt und ohne Leistungsdruck auch mal ein Fehler gemacht werden kann. Carlos2 sieht darin ganz klar ein Bedürfnis vieler Menschen erfüllt, das sie selbst in den Kollektivstrukturen von WUT sich auszuleben ermutigt fühlte.
»Menschen, Frauen* zusammenbringen, die mal an einen Tisch zu setzen und eben der Szene, so wie sie ist, was entgegenzusetzen, also eine counter force, weil man eben gemerkt hat, die Bookings sind sehr einseitig, die meisten Menschen, die veranstalten sind cis-männlich-hetero. Und ja, so kam ich eben selber zum Veranstalten. […][Da] gab es für mich einen Raum in dem ich das Gefühl hatte: Boa, ich kann endlich was tun, ich kann was machen und habe so ein Backup. Ein Netzwerk, Leute die mich unterstützen. Und das war für mich wahnsinnig wertvoll, weil ich mich nicht allein damit gefühlt habe mit diesem Gedanken. Und natürlich auch dadurch, dass der Gedanke Feminismus, das Thema, immer präsenter wurde, auch mit ‚nem politischen Anspruch da ranzugehen. Und das war ein wahnsinnig schöner Moment und das ist es auch immer noch. Einen Raum zu haben, einen safer space, das ist ja jetzt die Frage, ob es einen safe space an sich geben kann, aber einen safer space, in dem ich einfach irgendwie offen reden kann, kritisch sein kann, Fehler machen kann. Ganz wichtig, Fehler machen, bei dem ich oft früher das Gefühl hatte: Na gut auflegen mit vinyl – du bist am Anfang halt super am strugglen und es ist anstrengend, bis das mal klappt und das auch irgendwie tun zu können ohne sich dafür zu schämen in diesem Raum, war mir wahnsinnig wichtig. […] Genau und irgendwann hab‘ ich mit dem Auflegen angefangen und das auch mit ‚nem guten Freund von mir und da kam auch die Idee zum Turntable Tennis«
Carlos2
Turntable-Tennis, Import Export
Utopien sind wichtig…
Die Frage auf welcher Ebene Wandel definiert werden kann, bleibt bestehen. Clubs und Veranstaltungen bleiben weiterhin wirtschaftliche Unternehmungen. Diese Räume sind notwendig, um feministische Politiken und sichere Räume für Frauen*, nicht-binäre Menschen, trans* und inter* Personen in eine Öffentlichkeit zu tragen, die ein breiteres Publikum erreicht als bereits bestehende Szenen. Gleichzeitig stellt sich heraus, dass kulturelle Ungleichverhältnisse sich nur begrenzt oder sehr langsam innerhalb marktwirtschaftlicher Strukturen aufheben lassen, weil diese historisch gewachsen sind. Geschlechterungleichheit in der Clubkultur wird daher als ein Zusammenspiel kultureller Schieflagen und dem wirtschaftlichen Rahmen für kulturellen Wandel problematisiert.
Steuerung durch Clubs als Unternehmen, wie im Falle des Marry Klein-Festivals, ist auch abhängig von einer unterstützenden Kulturpolitik, sowie vom Wissensaustausch mit und dem Einbezug von feministischen Akteur*innen.
»Zum einen ist das eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit und zum anderen ist es aber wichtig, glaub‘ ich, dass wir auch sehr kritisch unserer Arbeit mit dem Harry Klein gegenüberstehen, weil auch Peter und David Männer sind und einfach bestimmte Machtstrukturen, die sind einfach in der Szene gegeben und die kann auch ein Peter Fleming oder ein David Süß nicht einfach überwinden. Die sind einfach da, die sind kulturell geprägt und es ist aber an dem WUT-Kollektiv das anzusprechen und das immer wieder kritisch zu beäugen. Das ist nicht die Aufgabe vom Harry Klein, das zu machen, das ist schon die Aufgabe von dem queerfeministischen Kollektiv, finde ich.« Lily Lillemor
Dass das Marry Klein-Festival in den europaweiten Zusammenhängen von Technoszenen einzigartig ist, zeigt an, dass hier erfolgreiche Arbeit geleistet wurde, gleichzeitig aber umso mehr Arbeit notwendig ist, um den Anspruch über die eigene Szene hinaus gesellschaftlich zu wirken erfüllen zu können. Hierfür haben Lily Lillemor und Peter Fleming einen Unterstützungsantrag bei der EU-Komission eingereicht, um das Konzept Marry Klein bundes- bzw. europaweit veranstalten zu können.
…Realitäten aber Basis des Kulturwandels
Gefragt nach dem Ziel des jeweiligen Engagements, wird der Begriff der Utopie in zweierlei Verwendung angeführt.
Einerseits als die Aufhebung der ungleichen Verhältnisse, für die es sich aus politischer Überzeugung zu kämpfen und sich zu engagieren lohnt. Das Ziel ist es, eine Szene und die dazugehörigen Räume zu schaffen, die frei sind von Geschlechterdiskriminierung jeglicher Art, die sicher sind, für alle Menschen, die elektronische Musik lieben, die Möglichkeiten bietet für alle Menschen, unabhängig ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres geschlechtlichen Ausdrucks, an ihr teilzuhaben und teilzugeben.
Andererseits, im klassischen Sinne, als ein Idealzustand, der im Rahmen der aktuellen Verbindungen von Kulturpolitik und privatwirtschaftlichen Verhältnissen, sowie einer hegemonial männlich* geprägten Gesellschaft, nicht augenblicklich erreicht werden kann.
»Es wäre schön, wenn es so wäre, aber ich halte das im Augenblick noch für eine Utopie. […] Also wir haben‘s noch nicht geschafft, dass Garry immer ist, oder Marry. Oder die Unterscheidung dann eben gar nicht mehr sein müsste.« David Süß
Feministische Interventionen sind im Kontext Nachtleben Kämpfe um Repräsentation, körperliche Selbstbestimmung und Teilhabe an allen Bereichen der musikalischen Subkultur. Dabei ist liegt das Ziel im Spannungsfeld wirtschaftlicher Risikobereitschaft und politischen Willens gesellschaftlichen Wandel zu erreichen.
Für die Münchner Szene wurde in den letzten Jahren durch die Zusammenarbeit stadtkultureller Akteur*innen wie den Betreiber*innen des Harry Klein und feministischer Akteur*innen wie den Teilgeber*innen des WUT-Kollektivs eine Grundlage geschaffen, die es nichtmehr zulässt Frauen*, nicht-binäre Menschen, trans* und inter* Personen einfach zu übergehen. Die Nachhaltigkeit dieses Zustands ist abhängig von fortlaufenden Engagements und Kämpfen aller beteiligten Akteur*innen. Gleichstellung ist noch lange nicht erreicht und muss weiterhin erkämpft werden.