Die in unserer Ausstellung versammelten Studien verweisen allesamt auf unterschiedliche Art und Weise auf die »Vielfältigkeit und Veränderbarkeit von Männlichkeit« (Connell 2015: 75). Die Akteur*innen der verschiedenen Themenfelder bearbeiten »Männlichkeit« entweder unmittelbar oder machen sie zur Bezugsfolie ihrer eigenen Praxis. Für Olaf Stuve und Katharina Debus (2012: 44) stellt Männlichkeit »nicht die Summe dessen dar, was Jungen und Männer sind«, sondern sei vielmehr ein Anforderungsmuster, mit dem sich alle auseinandersetzen müssen, und das an spezifische Fragen der Anerkennung gekoppelt sei (vgl. ebd.).

Um den Zusammenhang zwischen Machtverhältnissen und Männlichkeit greifbarer zu machen, prägte Raewyn Connell den Begriff der »Hegemonialen Männlichkeit«. Darunter versteht Connell »jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis […], welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder gewährleisten soll)« (ebd.: 130). Hegemonieprojekte zeichnen sich durch einen mitunter nicht direkt gewaltvollen »erfolgreich erhobenen Anspruch auf Autorität« (Connell 2015: 131) aus. Die hegemoniale Konfiguration einer männlichen Herrschaft verortet Pierre Bourdieu dabei auf nahezu allen strukturellen Ebenen, wodurch sie tendenziell als »natürliches« gesellschaftliches Verhältnis erscheint (vgl. Bourdieu 1997). Die kognitive Auseinandersetzung mit diesen Strukturen, denen sich auch unsere Forschungspartner*innen widmen, versteht Bourdieu als »die gründlichste Form politischen Kampfes […] über die Bedeutung der Welt und insbesondere über sexuelle Realitäten« (ebd.: 96).

Hegemoniale Männlichkeit ist häufig in ihrer expliziten Machtposition unauffällig und spiegelt sich stattdessen zunächst in strukturellen Ausschlüssen (Stuve / Debus 2012: 55). Hierauf verweist auch die Geschlechterungleichheit in der Münchner Technoszene. Wie in allen gesellschaftlichen Bereichen, die maßgeblich durch ökonomische Strukturen geprägt sind, besetzen Männer Schlüsselpositionen. Sie verfügen oft über die Entscheidungshoheit, feministischen Akteur*innen einen Raum in den von ihnen verwalteten Strukturen anzubieten. Dabei sind sie sich ihrer hegemonialen Lage in dieser cis-männlichen kulturindustriellen Unternehmerschaft bewusst. Es entsteht eine ambivalente Gleichzeitigkeit: Als wirtschaftende Akteure gerinnen sie zu hegemonialen Kristallisationspunkten der Netzwerkbildung, während sie die Notwendigkeit bekunden, ebenjene Logiken aufzubrechen.

Auf solche hegemonial männlichen Logiken reagieren die Existenzgründerinnen von guide. Sie praktizieren eine weibliche Unternehmerinnenschaft, die – in neoliberale Strukturen eingewoben – auf einer binären Geschlechterlogik basiert und auf »empowernden« Frauennetzwerken gründet. Indem sie sich immer wieder auf die männlich wirtschaftende Hegemonie berufen und ihre Arbeit hierbei auf die Selbstzuschreibung als Managerinnen einer Work-Life-Family-Balance stützen, werden sie Komplizinnen und Teil einer männlichen Herrschaft (vgl. Bourdieu 1997).

Hegemoniale Männlichkeit steht nicht ausschließlich Frauen herrschaftlich gegenüber. Sie kann auch eine potenzielle Abwertung und Ausgrenzung anderer Männlichkeiten sein. Dabei impliziert sie »eine Normalitätsorientierung, auf deren Basis in Eigen- und Fremdtypsierungen Grenzziehungen vorgenommen werden« (Meuser 2010: 103). Dies zeigt auch die Beziehungs-Weise der geschlechtersensiblen Jungen*arbeit, in der regelrecht intervenierende Sozialarbeiter einen Einfluss auf Männlichkeitsverhandlungen nehmen. Sie laufen dabei selbst Gefahr, Hegemonien durch das situationsspezifische Favorisieren eines gewissen Männlichkeitstypus zu erzeugen. Hier mahnen die verbindlichen Leitlinien der Landeshauptstadt München eine Vervielfältigung verschiedener Männlichkeitsvorstellungen an, die im Gegensatz zur hegemonialen Vorstellung an Verbindlichkeit verloren haben. Dies führe bei den Jungen zu einer Verunsicherung zwischen »Eigenem« und »Erwartetem«. Entgegen dieser Leitlinienargumentation versteht unsere Ausstellung hegemoniale Männlichkeit in Anlehnung an Raewyn Connell (2015) nicht als kurzfristige Phänomenologie, sondern als ein strukturierendes Prinzip, das sich je nach Kontext ausgestaltet und damit jederzeit auch bei einer vermeintlichen Vielfalt an Männlichkeitsvorstellungen vorherrschen kann. In der Jungen*arbeit ist Männlichkeit insbesondere für jene mit Anerkennungsfragen verbunden, »die als Jungen und Männer anerkannt werden wollen oder die von ihrem Umfeld als Jungen gesehen werden – selbst wenn sie sich nicht selbst als solche empfinden« (Stuve / Debus 2012: 44).

Hegemonialer Männlichkeit wird somit – nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser Leitlinien – ein gewisses Maß an öffentlicher Autorität zuschreibbar (Connell 2015: 217). Gleichzeitig ist sie auf eine (unbewusste) Zustimmung der von ihr Betroffenen angewiesen, um überhaupt hegemonial zu sein. Die Beforschung der Antisexistischen Aktion München (ASAM) zeigt dagegen auf, wie die gesamte Beziehungsführung als feministische Praxis ein Gegenmodell zu alltäglichen (hegemonial) männlichen Umgangsweisen darstellt. Es ist ihr Anliegen, hegemoniale Ungleichgewichtungen in eine sorgende Vergemeinschaftung zu transformieren. Dieser Modus ist noch immer stark weiblich konnotiert und als Praxis häufig von weiblich gelesenen Personen übernommen. Dies droht, mit Anerkennungsdefiziten von außen einherzugehen und als Zeugnis weiterhin bestehender männlicher Hegemonien lesbar zu werden. Wohl eingebunden in ebenjene Strukturen entlarven die Aktivistinnen hegemonial männliches Dominanzverhalten als durchkreuzbar und wissen um die Notwendigkeit, »die Basis für die Vorherrschaft einer bestimmten Männlichkeit (Connell 2015: 131) abzuschaffen. Man müsse das Patriarchat auf allen Ebenen des Miteinanders unterlaufen, um den bestehenden männlichen Hegemonien entgegenzuschreiten.

Literatur:
Bourdieu, Pierre (1997): Männliche Herrschaft revisited. In: Feministische Studien 15, S. 88-99.
Connell, Raewyn (2015): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Wiesbaden.
Stuve, Olaf / Debus, Katharina (2012): Männlichkeitsanforderungen. Impulse kritischer Männlichkeitstheorie für eine geschlechterreflektierte Pädagogik mit Jungen. In: Dissens e.V.; Debus, Katharina; Könnecke, Bernhard; Schwerma, Klaus; Stuve, Olaf (Hrsg.): Geschlechterreflektierte Arbeit mit Jungen an der Schule. Texte zu Pädagogik und Fortbildung rund um Jungen,
Geschlecht und Bildung. Berlin, S. 43-60.
Meuser, Michael (2010): Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster. Wiesbaden.
von Felix Gaillinger
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