Ökonomische Selbstständigkeit

Zur Unternehmerin (gemacht) werden

guide – die Servicestelle für Gründungsberatung begleitet Frauen mit einem gendersensiblen Ansatz auf ihrer Reise in die von männlichen Idealen geprägte Selbstständigkeit. Wie verläuft dieser Weg zwischen Empowerment und Selbstoptimierung?

Michaela Kugler und Laura Lefevre

Über Geld spricht Frau nicht! Oder doch?

Frauen als Unternehmerinnen waren und sind in der Geschichte bis auf schillernde Ausnahmen unsichtbar – weil sie undenkbar waren. Finanz- und Wirtschaftswelt schlossen Frauen konsequent aus und der Vormund – zumeist der Vater oder Ehemann – kontrollierte ihre Arbeitskraft bis in die 1960er Jahre. Denn lange Zeit galt: Über Geld spricht die Frau nicht und hat schon dreimal nichts damit zu tun.

Unternehmerinnen und Frauenrechtlerinnen stellten zunehmend diese Ausschlüsse in Frage: Sie gründeten Verbände wie die Vereinigung von Unternehmerinnen oder die Genossenschaftsbank selbstständiger Frauen in Berlin (1910-1916), schafften Strukturen der Unterstützung und forderten über das gesamte Jahrhundert in feministischen Gruppen den Zugang zu Bildung, Erwerbsarbeit, gleichem Lohn und Lohn für Hausarbeit.

Inzwischen nimmt die selbstständig ausgeübte Erwerbsarbeit mit dem Arbeitsmarktwandel sowohl bei Männern als auch bei Frauen zu. Händeringend wird nach Arbeitskräften gesucht – und die Frau als Arbeitskraft kann nicht mehr ignoriert werden. Unternehmerinnen treten aus der Unsichtbarkeit in das Rampenlicht: Die Karrierefrau wird zum Symbol der erreichten Emanzipation westlicher Gesellschaften. Dieser Wandel steht für die Entwicklung hin zu einem neoliberalen Feminismus (siehe: Neoliberalismus).

Annette von Droste-Hülshoff und Clara Schumann auf DM Banknoten.
Die Juristin und Frauenrechtlerin Anita Augspurg (1857-1943).

»Weil wir eher neutral sind«: guide, (k)ein feministisches Projekt?

Wir stehen vor einem Bürokomplex im Westend. Hinter der Eingangstür aus Glas erahnen wir bereits die Büroräume von guide, der Servicestelle für Gründungsberatung. Beim Eintreten blickt uns die Frauenrechtlerin Anita Augspurg entgegen. Sie ist groß und prominent auf einer Urkunde zu sehen, die guide für die Auszeichnung mit dem Anita Augspurg-Preis der Stadt München erhalten hat. Im Inneren der Räumlichkeiten arbeiten die Beraterinnen zwischen Flipcharts, Aktenschränken und orangenen Blumen. Unser Weg führt in ein Zimmer, in dem sonst die Gruppencoachings stattfinden. Eine Wandzeichnung springt uns sofort ins Auge: Eine Frau reckt zwischen zwei großen, orangenen Blüten ihre Arme in die Höhe, die Augen geschlossen und den Mund zu einem Lächeln geöffnet – begeistert, beflügelt, befreit?

Der Anita-Augspurg-Preis der Landeshauptstadt München ehrt Projekte, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen. Anita Augspurg war eine leidenschaftliche international vernetzte Aktivistin der ersten Frauenbewegung und vor allem bekannt für ihr Engagement für das Frauenwahlrecht. Seit 2016 trägt die Servicestelle guide diese Auszeichnung für ihre gendersensible, emanzipatorische Unterstützung für Gründerinnen in allen Lebenslagen. Von einem Vergleich mit dem politischen Programm der namensgebenden Feministin weicht guide allerdings ab: »[Weil] wir einfach da doch eher neutraler sind«, sagt Bettina Wenzel, Projektleiterin von guide, im Interview.

Aus Fordern wird Fördern: Frauen als Unternehmerinnen in München

Das Projekt guide – Unterstützung für Existenzgründerinnen hilft seit 2005 Frauen nach einer Erwerbsunterbrechung bei einem Umstieg in die berufliche Selbstständigkeit. Damit teilt es die politischen Bemühungen, Geschlechtergerechtigkeit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern.

Ab 1980er Jahre

zur Jahrtausendwende hin Professionalisierung der Frauenbewegung mit Feministinnen in politischen Positionen. Wandel in Familien und Gleichstellungspolitik: Frauen und Arbeit als gesellschaftliches Thema.

1998

Entstehung des GründerRegio M e.V. mit Mitgliedern aus Wissenschaft und Wirtschaft. Ziel: Förderung von Existenz- und Unternehmensgründungen in der Region München.

2003

Vorläuferprojekt »​Effekt!«: Weiterbildungsprogramm mit Zielgruppe der hochqualifizierten Frauen nach der Elternzeit.

2005

Start von guide – Gemeinschaftsbüros und Unterstützungsangebote für innovative Dienstleistungen und Existenzgründerinnen.

Bis heute

Erweiterung des Programms: kostenlose /-günstige Servicepakete mit individuell buchbaren Seminaren, Workshops, Netzwerktreffen, Einzel- und Gruppencoachings.

Förderungen durch
Referat für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München/MBQ, Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales,
Europäischer Sozialfonds (ESF)

»Was Gründerinnen wirklich brauchen«:

Wozu braucht es eigentlich besondere Unterstützung für Unternehmerinnen? Ob selbstständig oder nicht: Erwerbsarbeit, deren Verläufe, Chancen und Hindernisse sind eng mit Geschlecht und entsprechenden Rollenerwartungen verbunden.

»[Die Frauen] haben gearbeitet, hatten ’ne verantwortungsvolle Position, mit Reisetätigkeit auch, mit vielleicht auch Personalverantwortung, Budgetverantwortung. Dann kommt die Elternzeit, sie sind ein paar Jahre raus, diese Stelle gibt‘s nicht mehr für sie oder in Vollzeit wollen sie‘s nicht mehr machen – können sie nicht mehr, wollen sie nicht mehr. In Teilzeit gibt‘s die Stelle oft nicht. Dann könnten sie eine Stelle machen, mit der sie gelangweilt vielleicht sind, weil sie unterfordert sind, überqualifiziert, auch ein anderes Gehaltsniveau. Und das kratzt am Selbstbewusstsein.«
»Also viele Frauen, sie kommen explizit zu guide, weil sie‘s eben so erleben: Eine Gründungsinitiative von Frauen für Frauen. Und dass wir eben […] die Besonderheiten der Frauengründung wirklich sehr stark auf dem Schirm haben: Dass Frauen in Teilzeit gründen, dass wir es auch wertschätzen, dass wir nicht sagen, man muss jetzt Unternehmerin sein […]. Sondern den eigenen Arbeitsplatz schaffen, der passgenau ist zu der individuellen, persönlichen Lebenssituation. Und diesen Arbeitsplatz einfach erhalten und dass man beruflich Zufriedenheit hat. Geld verdienen, ja, also das ist hier bei uns auch nochmal ein Fokus, das Ganze muss wirtschaftlich sein, das muss tragfähig sein. […] Aber es soll auch Freude machen und den eigenen Werten und der eigenen Philosophie entsprechen. Und eben zu der Lebenssituation passen: Kleines Kind, vielleicht noch mal schwanger und die Omi will noch gepflegt werden.« Bettina Wenzel, Projektleiterin guide

Trau dich! guide als Schutzraum für Selbstermächtigung
guide bietet angehenden Gründerinnen nicht nur kostengünstiges Fachwissen, sondern die Gründerinnen nehmen diesen Raum vor allem als eines wahr: Einen Raum für Austausch und Empowerment (siehe: Safe Space).

Soziale Netzwerke

»Wir Frauen, wir helfen uns gegenseitig und wir stützen uns gegenseitig und wir teilen auch Wissen. Also ich hatte früher immer das Gefühl, Männer sitzen auf ihrem Wissen und denken sich nur: Dann werde ich groß. Und wir bauen so gegenseitig Brücken und Hilfestellungen, sag ich: Wenn die groß wird, dann werd ich auch gleichzeitig noch irgendwie mit groß.« Dorothee Bischof

Wertschätzung

»Was ich toll fand, war der Spirit der gegenseitigen Wertschätzung, der Nichtbeurteilung oder Nichtverurteilung, dessen was du vorhast umzusetzen, sondern im Vordergrund steht einfach: Da ist jemand und viele haben irgendeinen Hintergrund und irgendeine bestimmte Motivation wieso sie jetzt, das was sie machen wollen, einfach treibt und das dann in die Tat umsetzen.« Meike Hörnke

Vertraulicher Austausch

»Dadurch […] dass da Frauen sind, ist es irgendwie, ja. Es ist nicht so ‘ne Hürde, dass man sagt, man muss sich da jetzt speziell vorbereiten, irgendwas, man kann da einfach hingehen […] Deshalb ist es halt ‘n recht geschützter Bereich einfach. Aber zumindest das Gefühl, also da kann man sich öffnen.« Franziska Reif

Mut und Selbstvertrauen

»[D]er Spirit zählt da viel stärker, dass man den Mut, jeder einzelnen von uns gefunden hat, überhaupt mal was in die Hand zu nehmen und nicht nur in der Fantasie was vorstellen würde […], sondern wirklich ins Tun zu können und sich professionell auf den Weg begeben mit der Unterstützung des guide. […] Dass Frauen gestärkt werden, […] vielleicht mal entlastet werden, vielleicht mutiger werden, ihre Frau dann eben auch vielleicht vor Ehepartnern zu stehen und da für Gleichberechtigung sorgen.« Meike Hörnke

Auf eigenen Beinen stehen – Erfüllung oder Zwang?

guide gibt Frauen eine Wertschätzung für ihre unbezahlte Arbeit: Vernetzungsmöglichkeiten mit Frauen in ähnlicher Situation, einen Raum für vertraulichen Austausch, gegenseitige Wertschätzung… All das hilft den Frauen, daraus Selbstvertrauen für die eigene Gründung zu schöpfen.

Für einige ist die Gründung eine Möglichkeit, ihren Traum zu verwirklichen, und gleichzeitig durch erlerntes Selbstmanagement die doppelte Anforderung von Geldverdienen und Fürsorge auszugleichen. Trotzdem bleibt diese Doppelbelastung aus Sorge- und Erwerbsarbeit der Frauen unhinterfragt. Niemand fragt, wer sich in einer Familie eigentlich von Work-Life-Balance wie intensiv auseinandersetzen muss.

Die politischen Förderungen für Unternehmerinnen geben die Verantwortung für Geschlechtergerechtigkeit ab: Mit dem Versprechen von Freiheit durch die individualisierte Selbstständigkeit, übernehmen die Frauen die eigene Existenzsicherung und das Managen unbezahlter Sorge-Arbeit. Damit festigen sich in diesem Programm neoliberale Marktlogiken, in denen jede (emanzipierte!) Frau für ihr eigenes Schicksal verantwortlich ist. Ohne, dass dabei strukturelle Ungleichheiten hinterfragt werden.

Die Frau soll nicht zum gewinnorientierten Unternehmer werden – aber sie wird zu einer Unternehmerin ihrer Selbst.

Wie geht es den Gründerinnen mit diesen Anforderungen? Wie nehmen sie ihre Reise in die Selbstständigkeit wahr?

»Ich will einfach freier sein, ich will mich selbst entscheiden können.«

Für Dorothee Bischof war der Sprung in die Selbstständigkeit kein unbekannter Schritt. Durch ihre frühere Tätigkeit als Personalberaterin war ihr das Akquirieren eigener Projekte bereits bekannt. Doch was im Angestelltenverhältnis fehlte, war die Freiheit der Selbstbestimmung. Heute arbeitet sie selbstständig als Job- und Businesscoach.

Ihr Arbeitsalltag ist nun durch unterschiedliche Aufgaben bestimmt: Neben dem Coaching, muss sie sich um Einkauf, Verkauf, Buchhaltung, Kund*innen Betreuung und Akquise kümmern. Was es dafür braucht? Extrem gutes Zeitmanagement. Denn Zeit ist kostbar und der Umgang mit ihr eine Kunst. Flexibilität steht an oberster Stelle: Wenn der sonnige Tag auch mal in die Berge führt, muss dafür am Abend gearbeitet werden. Während es in ihrem Alltag keine Grenze zwischen Arbeit und Freizeit gibt, versucht sie zumindest für ihre Kund*innen Geschäftszeiten festzulegen, um nach außen hin nicht auf Abruf bereit zu wirken.

guide half Dorothee Bischof dabei, sich mit ihrem »blinden Fleck« in Sachen Marketingstrategien, Kundenorientierung, Zahlenkonstrukte oder der eigenen Homepage stärker auseinanderzusetzen. Außerdem diente guide für Dorothee Bischof auch zur Erweiterung ihres beruflichen Netzwerks. Um für ihr Unternehmen größeren wirtschaftlichen Erfolg zu haben, ist jedoch für Dorothee Bischof ein gemischtes Netzwerk von Frauen und Männern wichtig.

guide galt hier selbst als Coach für sie, um die Schritte eines Businessplans abzuklären und so einen einfacheren Einstieg in die gewünschte selbstbestimmte Freiheit des Arbeitens zu gewähren.

»Und wenn ich meine Ex-Kollegen höre, wie die einfach gefangen sind in dem Konstrukt und […] gerne vieles machen würden in dieser neuen Welt. Den Weg können sie nicht gehen, weil einfach die Firma den Weg nicht geht. (…) Und ich kann ja tun und lassen, was ich will.« Dorothee Bischof

 

»Es geht mehr um Selbsterfüllung als unbedingt um den supergroßen wirtschaftlichen Erfolg.«

Nach der Geburt ihres Sohnes empfand Franziska Reif eine Unzufriedenheit in ihrem Arbeitsalltag. Sie war im Bereich des strategischen Marketings in der Automobilindustrie tätig. Es war nicht nur die Unzufriedenheit, sondern auch die Fahrerei, die jahrelange Routine der Aufgaben wie auch die Frage nach einer Sinnhaftigkeit der Tätigkeit, die sie an ihrer Beschäftigung zweifeln ließ. Die Idee, Stoffwindeln selbst zu produzieren und zu verkaufen wurde im privaten Umfeld zunächst skeptisch betrachtet. Doch der Wunsch nach einer erfüllenden Arbeit bestärkte sie und so setzte sie ihr Projekt in die Tat um.

Die erste Begegnung mit dem Beratungsangebot von guide war bei einer Online-Veranstaltung. Damals standen Beratungen zur Erlangung des Gründungszuschusses wie auch die Vernetzung im Mittelpunkt, um zeitnah das eigene Unternehmen gründen zu können. Für eine größere Reichweite und stärkere Netzwerke besuchte Franziska Reif Messen für Unternehmerinnen zum Thema Nachhaltigkeit und startete ein Crowdfunding.

Die Begegnungen mit Familien durch ihre neue Tätigkeit und die damit verbundenen Aufgaben in der Windelei beschreibt Franziska Reif als »erfüllend«. Bestärkend sind für sie auch der intensive Kund*innenkontakt, der selbsterwirtschaftete Erfolg und die Freude an der Tätigkeit. Außerdem ist das Familienleben mit der Selbstständigkeit besser vereinbar als im Angestelltenverhältnis. Wenn das Kind zum Beispiel krank ist, besteht die Möglichkeit an diesem Tag nicht zu arbeiten und sich die Arbeit flexibel einzuteilen.

»Also es war eigentlich, ich wusste gar nicht, ob ich der Typ bin für die Selbstständigkeit. Ich hab immer gedacht Nein und, es war jetzt nicht der unbedingte Wunsch da, sich selbstständig zu machen. Aber die Idee hat mir dann einfach gefallen und es hat dann die Selbstständigkeit mit sich gebracht.« Franziska Reif

 

»Dazu gehört, dass du ganz stark an das glaubst, was du tust und überzeugt bist.«

Als Meike Hörnke bei guide Beratungen und Seminare für ihre Selbstständigkeit besuchte, wusste sie, dass sie dieses Ziel der eigenen Gründung nur mit Eigeninitiative und Leidenschaft erreicht. Vor einigen Jahren erlitt Meike Hörnke selbst einen Schlaganfall, dabei wuchs der Druck in ihrem damaligen Angestelltenverhältnis sowie der Wunsch nach einer neuen beruflichen Aufstellung: der Selbstständigkeit. Mit Hilfe von guide, sowie ihren eigenen Erfahrungen im Umgang mit den Folgen des Schlaganfalls im Alltag, verknüpfte Sie diesen Erfahrungsschatz mit Ihrem Fachwissen als Heilpraktikerin für Psychotherapie, Trauer-, Sterbe- und Krisenbegleiterin, Trauma-Therapeutin und diversen Fortbildungen im neuropsychologischen Bereich. Meike Hörnke arbeitet als psychologisch orientierter Teilhabe-Coach in der individuellen alltagsbegleitenden Nachsorge und gibt Orientierung, Halt sowie Perspektiven. Die berufliche Wiedereingliederung gehört ebenso zu Ihren Dienstleistungen wie das Coaching von Führungskräften und die Tätigkeit in der Weiterbildung als Dozentin.

Sie selbst beschreibt, dass ihr Alltag jetzt als selbstständige Unternehmerin aus Mehrfachrollen besteht: Coach, Mutter, Ehefrau. Dadurch vermischen sich die Grenzen zwischen Arbeit, Familie und Freizeit. Ihre Strategie, um mit dieser Entgrenzung umzugehen, ist sich immer wieder auch Zeit für sich selbst zu nehmen: zum Beispiel zu kochen und Reiten zu gehen.

Denn die Selbstständigkeit sei ein »emotionales Auf und Ab«, in welchem der eigene Glaube nicht verloren gehen darf, erzählt sie. Um motiviert zu bleiben, ist für Meike Hörnke auch wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern, was sie bereits geschafft hat. In der Zeit des eigenen Schlaganfalles wuchs die Motivation für die Selbstständigkeit als Teilhabe-Coach zu einer Leidenschaft, in der sich das Bewusstsein für die Relevanz dieser Arbeit herauskristallisierte. Das positive Feedback, welches sie durch Kund*innen erhält, bekräftigen ihre Haltung.

»Oftmals du als Frau, nicht nur als Frau, generell als Unternehmerin [stehst] du vor Hindernissen, [Menschen, die] dir sagen, das funktioniert nicht. Bei mir sagen zum Beispiel in der Nachsorge Ärzte: ‚Naja, also entweder bist du Betroffene oder du bist Ärztin‘, aber ich bin tatsächlich was dazwischen und […] es funktioniert nur, wenn ich da an mich glaube, was ins Leben zu rufen […]. Und langfristig erfolgreich wird es dann, wenn ich vorher genau analysiert habe, ob für das, was ich unternehmerisch anbieten möchte, überhaupt ein Bedarf besteht. In meinem Bereich habe ich diese Lücken am eigenen Leib erfahren und schließe sie heute mit großer positiver und willkommener Resonanz. Coronabedingt mittlerweile deutschlandweit.« Meike Hörnke

 

>>>> Der Weg zur Unternehmerin

Selbsterfüllung

»[G]leichzeitig auch irgendwie schon der Wunsch was Sinnvolles zu machen, irgendwie eine sinnhafte Tätigkeit. Also anstatt jetzt Automobilindustrie, irgendwas, wo man vielleicht auch mehr bewegen kann, was Sinnvolles macht, wo man dann direkt sieht, welchen Impact man haben kann.«
Franziska Reif

Offenheit

»[I]ch glaub, es wäre auf jeden Fall sehr schwierig für jemanden, der sehr verschlossen ist. Wenn ich Schwierigkeiten hab, Kontakte zu knüpfen, dann ist es wahrscheinlich problematisch.«
Franziska Reif
»Man muss auch ganz schnell wieder raus aus diesen Frauennetzwerken. Also wenn man wirklich wachsen will, ist das ein ganz seltenes Standbein und das macht Sinn, das parallel laufen zu lassen.«
Dorothee Bischof

Leidenschaft

»Wenn ich nicht an das glauben würde, und das gilt für alle Frauen auf dieser Welt, die in die Selbstständigkeit gehen, wenn ich nicht langfristig glaube und total überzeugt davon bin, dass es wirklich gut und richtig ist und einen Nutzen hat […] Und wenn du da die Hausaufgaben gut gemacht hast, da kanns eigentlich nicht schief gehen.«
Meike Hörnke

Zwischen Beruf und Berufung

»Es ist eine Kunst, dass du dann auch mal vielleicht sagst, in dieser ganzen Euphorie, jetzt ist Stopp, jetzt mach ich auch mal wieder was für mich, was nicht mit meinem Job zu tun hat. Weil Beruf ist tatsächlich gleichzeitig Berufung bei vielen, […] Also die Fähigkeit wieder sich selber zu strukturieren und die Fähigkeit, sinnvoll Prioritäten zu setzen.«
Meike Hörnke

Selbstdisziplinierung

»[M]an muss sich selbst motivieren können. Weil es sitzt keiner da, der sagt: Tu mal was. Und klar, man muss auch Spaß an ganz vielen Tätigkeiten haben. Also, ich muss Lust haben, mich auch in die IT reinzufuchsen, ich muss Lust haben, mein Buchhalter zu sein, ich muss Lust haben, meine Grafikerin zu sein […] «
Dorothee Bischof

Ständig Selbst-ständig

guide reiht sich in politisches Bestreben ein, Frauen mit dem Versprechen von Freiheit durch Selbstständigkeit, die Verantwortung einer geregelten Work-Life-Balance zu übergeben. Damit stehen sie selbst in der Verantwortung, ohne dass die Doppelbelastung von Sorge- und Erwerbsarbeit infrage gestellt wird. Eher im Gegenteil: Das erfolgreiche Managen dieser Doppelbelastung wird zum obersten Ziel.

Alle Gründerinnen sprechen sehr positiv von ihren Erfahrungen mit guide und dem Glück, das sie durch die Selbstständigkeit erleben. Kritiken am Programm selbst oder den Umständen, in denen sie arbeiten, werden kaum laut: Doch das hohe Maß an Belastbarkeit, Flexibilität, Kundenorientierung, Wirtschaftlichkeit des eigenen Unternehmens, Selbstdisziplinierung, Selbstmotivation wie auch Selbstkritik – all diese Anforderungen und Beschreibungen ihres Alltags verdeutlichen die Belastung durch die Eigenverantwortung.

Die Gründerinnen haben folgende Perspektive angenommen: Auch wenn guide ihnen durchaus bei der Gründung geholfen hat, sie unterstützt, mit Wissen ausstattet und ihnen ein Gefühl der Wertschätzung gibt, erleben Sie die Selbstständigkeit als eine Herausforderung und an manchen Stellen auch als eine Belastung. Aber die Frauen zweifeln nicht an der Verantwortung, für Erwerb und Alltag zuständig zu sein. Sondern alle drei Gründerinnen verweisen darauf, dass diese Anforderungen hingenommen werden und sie nur durch die Arbeit an sich selbst entlastet werden können. Dafür haben sie verschiedene Strategien der Selbstdisziplinierung entwickelt. Diese alltägliche Flexibilisierung, Optimierung und Selbstüberwachung deuten die Gründerinnen als Freiheit und Erfüllung – wobei sich die Doppelbelastung nur zeitlich verschiebt, aber effektiv nicht weniger wird.

Mehr über guide München
guide-muenchen.de

Autorinnen: Michaela Kugler und Laura Lefevre

Literaturverzeichnis
Bröckling, Ulrich; Krasmann, Susanne; Lemke, Thomas (2004): Glossar der Gegenwart. Frankfurt am Main.
Bröckling, Ulrich (2007): Das Unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt am Main.
Dölle, Gilla (1997): Die (un)heimliche Macht des Geldes: Finanzierungsstrategien der bürgerlichen Frauenbewegung in Deutschland zwischen 1865 und 1933. Frankfurt am Main.
Eifert, Christiane (2003): Auf dem Weg in die wirtschaftliche Elite: Unternehmerinnen in der Bundesrepublik Deutschland. In: Berghahn, Volker R.; Unger, Stefan; Ziegler, Dieter (Hg.): Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert. Kontinuität und Mentalität. Essen.
Eifert, Christiane (2011): Deutsche Unternehmerinnen im 20. Jahrhundert. München.
Gather, Claudia; Ulbricht, Susan; Zipprian, Heinz; Biermann, Ingrid; Schürmann, Lena (Hg.) (2014): Die Vielfalt der Selbständigkeit. Sozialwissenschaftliche Beiträge zu einer Erwerbsform im Wandel. Berlin.
McRobbie, Angela (2010): Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes. Wiesbaden.
Reggi-Graßl, Nina (2021): Wiedereinstiegsberatung. Eine ethnografische Studie an der Schnittstelle von Care- und Erwerbsarbeit. Leverkusen-Opladen.
Bildquellen:
Bild »Banknote«: Deutsche Bundesbank, Frankfurt a.M.
Bild »Anita Augspurg«: Atelier Elvira, Public domain, via Wikimedia Commons