Mobilisierung gegen Catcalling

Sexuelle Belästigung ankreiden

Übergriffige Kommentare, Rufe und Hinterherpfeifen auf offener Straße – sogenanntes Catcalling – ist für viele Menschen Alltag und wird selten zur Sprache gebracht. Diesem Missstand widmet sich die Initiative Catcallsofmuc. Ihr Ziel ist es, durch das »Ankreiden« Vorfälle sichtbar zu machen und zu kritisieren, und damit Betroffenen eine öffentliche Stimme zu geben.

Noreen Osterlehner

Es klopfte plötzlich ein Mann an das Autofenster einer jungen Frau, während sie gerade ausparken wollte. Sie machte das Fenster einen kleinen Spalt herunter. Zu Beginn dachte sie, dass der Mann sie netterweise auf etwas an ihrem Auto hinweisen wollte. Aber nein, er fragte: »Haben sie eine Spende für mich?«, dann meinte sie zu ihm: »Nein tut mir leid, ich habe gerade kein Geld bei mir.« – Er kam daraufhin viel näher an das Fenster und entgegnete mit einer komischen Stimme: »Gut, wenn du kein Geld hast, machen wir es einfach so: Ich nehme dich mit, Süße. Dich würde ich nicht von der Bettkante stoßen!«
Ankreidung am Odeonsplatz

#stopptbelästigung #stopptbelästigung #stopptbelästigung #stopptbelästigung

@catcallsof…:
Die Entstehung der Initiative

Im Mai 2019 haben die zwei Initiatorinnen, Sofija und Julia, das Projekt gegen Straßenbelästigung von New York nach München geholt. Die beiden Münchnerinnen lernten sich damals über das Projekt »Youth Bridge« kennen, ein soziales Projekt für junge Münchner*innen mit unterschiedlichem Background, die gemeinsam zwischen verschiedenen Communities Brücken bauen möchten. Durch eine projektgebundene Reise nach New York lernten sie Sophie Sandberg kennen, die Gründerin von @catcallsofnyc. Dort hat die gesamte Initiative ihren Ursprung. Mit aktuell rund 184.000 Follower*innen ist diese catcallsof Instagram-Seite die größte. Bis dato ist der Instagram Account der Münchner Bewegung auf rund 9.200 Abonnent*innen angewachsen (Stand 12.2020).

Das Münchner Projekt agiert auf lokaler Ebene und ist auch transnational organisiert (siehe: Organisierung), um für gesellschaftliche Aufklärung zu sorgen und ein Zeichen zu setzen, damit Mädchen und Frauen nicht mehr verbal sexuell belästigt werden. In zahlreichen Städten und Regionen weltweit gibt es lokale Instagram-Seiten der catcallsof + ›Zusatz der Stadt oder Region‹. Deutschlandweit haben aktuell 77 Städte oder Regionen einen aktiven und geprüften @catcallsof… Account, von bisher 112 europaweit (Stand 01.2021). Über Instagram vereint der Account @chalkbackorg alle @catcallsof-Accounts und stellt die internationale, von jungen Menschen geführte Kreidekunst-Bewegung gegen Straßenbelästigung vor. Zudem stehen die einzelnen Teil-Initiativen über WhatsApp miteinander in Kontakt, informieren sich über Community-spezifische Themen und organisieren gemeinsame Veranstaltungen wie beispielsweise Poetry Slams.

Instagram-Feed der @catcallsofmuc (Stand 12.2020)

Es geht um mehr

Die Münchnerinnen bieten mit ihrer Instagram-Seite eine Plattform, um persönliche Geschichten auszutauschen und den Betroffenen das Gefühl zu geben, dass sie nicht allein sind.

Catcallsofmuc haben sich aber auch zum Ziel gesetzt, nach jedem zweiten Catcall, den sie mit Kreide auf die Straße schreiben, fotografieren und über Instagram teilen, immer einen sogenannten »Mittelpost« zu veröffentlichen, der sich mit aktuellen gesellschaftlichen Debatten befasst beziehungsweise über feministische Themen informiert. Zu Zeiten der Corona-Pandemie und des »Lockdowns« wurden Informationen zu häuslicher Gewalt mit eingebunden, welche aufklären, aber auch Anlaufstellen für Hilfe zeigen.

Des Weiteren wurde zuletzt das Thema Feminismus aufgegriffen, welches bei Catcallsofmuc eine zentrale Rolle spielt. Unter dem Motto »Warum Frauen* Feminismus brauchen« zeigen sie verschiedene Perspektiven und Probleme, die sie bekämpfen möchten.

Zahlen, Daten, Fakten zu @catcallsofmuc

Die Aktivist*innen von Catcallsofmuc sind vorwiegend auf Instagram aktiv, nutzen aber auch den öffentlichen Raum, um konkrete Fälle verbaler sexueller Belästigung publik zu machen und damit zu skandalisieren.

Aber wer wird damit überhaupt erreicht? – Statistiken der Münchner @catcallsofmuc zeigen, dass vor allem Frauen zwischen 18 und 35 Jahren der Seite folgen. Insgesamt sind es 86% Frauen und 14% Männer. Auf der Straße jedoch ist die Erreichbarkeit der Bevölkerung eine andere. Vor allem ältere Menschen sind interessiert und sprechen die Aktivist*innen an. Viele junge Menschen kennen die Initiative bereits über Instagram.

Die Follower*innen spiegeln im Grunde auch den Anteil der Nachrichten wider, die @catcallsofmuc bekommen. Im Schnitt kommt von 100 Nachrichten lediglich eine von einem Mann, wobei laut den Initiatorinnen bisher auch alle dieser Männer von einem Mann gecatcalled wurden. Auch wenn es Ausnahmen gibt, es sind fast immer männliche Täter und weibliche Opfer.

Hinter Catcallsofmuc stehen vor allem die zwei Initiatorinnen und aktuell rund 15 Freiwillige, die bei Ankreidungen auf der Straße helfen und auch Posts für die Instagram Seite gestalten.

@catcallsofmuc
inspiriert von @catcallsofnyc

»Auf der Straße werden wir vor allem von älteren Menschen angesprochen […], die sich noch nie wirklich Gedanken zu dem Thema gemacht haben. […] In der Unterhaltung [sind] die meisten dann doch sehr verständnisvoll und gehen ziemlich positiv aus dem Gespräch raus«, Sofija
»Das ist unsere große Stärke, dass wir sowohl online, als auch offline mit unserem Aktivismus verschiedenste Zielgruppen erreichen«, betont Stefania. »Auf der Straße betreiben wir vor allem Aufklärungsarbeit und sprechen mit Passant*innen über unser Projekt und unsere Ziele«, fügt sie hinzu.

Die Problematik des Catcallings

Flirten, Komplimente und Catcalling sind nicht das Gleiche. Natürlich gibt es für diese Begriffe umfassende Definitionen, jedoch legt jede*r diese nach subjektivem Empfinden anders aus. Kann man dennoch Grenzen ziehen? Nichtsdestotrotz ist es manchmal schwer nachzuvollziehen, wann eine subjektive Grenze überschritten wird.

Jojo von Catcallsofmuc meint, dass Catcalling an sich ein strukturelles, aber doch gesellschaftlich akzeptiertes Problem ist. Dabei handelt es sich um eine Grenzüberschreitung mit sexuellem Bezug und ist deshalb als eine Form sexualisierender Gewalt zu werten. Gleichzeitig stellt sie eine Art Machtdemonstration seitens der Catcaller*innen (vor allem jedoch Männer) gegenüber den Gecatcallten (insbesondere Frauen) dar (siehe: Sexismus).

Durch das Catcalling werden die Betroffenen objektifiziert und es wird eine Hierarchie hergestellt, die den Betroffenen das Gefühl geben soll, dem Gegenüber unterlegen zu sein. Catcalling ist keineswegs gleichzusetzen mit Flirten oder Komplimenten, sondern bedeutet laut den Aktivist*innen ganz klar verbale sexuelle Belästigung.

Auch wenn viele sich wohl denken würden, wieso es ihnen in dem Moment die Sprache verschlagen hat, sei das definitiv zweitrangig. Zunächst gehe es in dem Augenblick darum, dass man sich selbst in Sicherheit bringt, wie es vor allem Julia betont. Im Nachhinein jedoch ist es besonders wichtig über den Vorfall zu sprechen, das Geschehene zu verarbeiten und auf gar keinen Fall die Schuld bei sich selbst suchen, sagen Sofija und Julia.

»Bei einer sexualisierten Anspielung, bei der man keine positive Reaktion erwarten kann, spricht man, meiner Meinung nach, nicht mehr von Komplimenten, sondern von Catcallling.« Fiona
»Rassismus, Sexismus und Homophobie sind erfahrungsgemäß die Themen, die beim Catcalling am häufigsten vertreten sind.« Jojo
»Catcalling ist überhaupt nicht gleichzusetzen mit Komplimenten, weil die Absicht der Komplimente eine ganz andere ist. Bei Komplimenten willst du einer Person ein gutes Gefühl geben. Bei Catcalling ist es eine Machtdemonstration, sich über jemanden lustig machen oder denjenigen oder diejenige zu sexualisieren.« Sofija
»Ich glaub Respekt ist genau das, was man vor allem bei Leuten, die man nicht kennt, am meisten braucht und was dann auch den Unterschied zwischen Catcalling und Komplimenten ausmacht. Wobei Respekt auch immer der eigenen Wahrnehmung unterliegt.« Julia

StGB § 184i
Sexuelle Belästigung

(1) Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(3) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.

Ein Ausschnitt der Rechtslage

Nach deutschem Recht ist Catcalling als verbale sexuelle Belästigung (bislang) nicht strafbar. Unter §184i StGB fallen erst Handlungen sexueller Belästigung mit Körperkontakt.

In Deutschlands Nachbarländern, wie beispielsweise Frankreich, ist Catcalling seit 2018 strafbar. Die Geldstrafen belaufen sich auf bis zu 1500€. Verboten ist Catcalling unter anderem auch in Portugal, Belgien und in den Niederlanden.

In Deutschland hat 2020 die Studentin Antonia Quell die Petition ins Leben gerufen: ›Catcalling muss strafbar werden!‹. Sie begründet ihr Vorhaben damit, dass Catcalls nicht mit Komplimenten verglichen werden können, sondern das Ausnutzen von Dominanz und Macht darstellen.

Grundsätzlich erweckt Catcalling ein Bild in der Gesellschaft von einem Missstand, der normalisiert und akzeptiert ist, obwohl viele Catcalling als unangenehm beziehungsweise belästigend empfinden, meint Fiona. Dagegen setzt sich catcallsof… ein. Sie initiierten durch ihren Aktivismus somit auch konkrete politische und gesellschaftliche Reformen (siehe: Politische Praxis).

Seitens Catcallsofmuc wird für die Strafbarkeit und eine Gesetzesänderung plädiert.

»Oh, darf man jetzt gar nicht mehr flirten?«

Personen, die gegenüber dem Projekt Kritik äußern, behaupten oft, dass man sich dann gar nicht mehr auf der Straße kennenlernen kann. Jedoch hat Catcalling als eine Form verbaler sexueller Belästigung laut den Aktivist*innen nichts mit einem respektvollen Kennenlernen zu tun.

»Es geht nicht darum, dass man jemanden auf der Straße anspricht, sondern darum, dass man keinen Respekt vor der Person hat und sie als Objekt behandelt«, sagte Sofija gegenüber der Süddeutschen Zeitung (23.06.2019).

Was für einen persönlich zu Catcalling zählt unterliegt einer subjektiven Perspektive. Es soll vor allem darauf aufmerksam gemacht werden, dass ein respektvoller Umgang auf Augenhöhe essenziell ist.

Erfahrungsgemäß fühlen sich vor allem Männer von den aufgeschriebenen Catcalls angegriffen:

»Da kommen wir wieder zum Thema Feminismus […], es geht ja überhaupt nicht um Männer gegen Frauen, sondern einfach: Wir alle gemeinsam gegen Catcalling«, so die These der Aktivist*innen.

#whyididntreport

Victim Blaming – wer trägt die Schuld?

»Du bist ja selbst schuld« ist meist der erste Kommentar, der fällt, wenn es um Catcalling geht. Aber den Aktivist*innen ist es wichtig zu betonen, dass niemals das Opfer schuld ist, sondern die Täter*innen. Die Argumentation, dass ein Outfit oder eine Verhaltensweise sexuelle Belästigung rechtfertigt ist absolut nichtig, sagen die Initiatorinnen. Die Initiative der catcallsof… steht somit auch für das Recht auf sexuelle und körperliche Selbstbestimmung.

»Was hattest du denn an? Eine kurze Hose oder sogar einen Rock?«

Im Umkehrschluss suchen viele Betroffene somit die Fehler bei sich selbst, berichten die Aktivist*innen. Man fühlt sich schuldig, schämt sich, ist angeekelt und will nicht darüber reden. Wie bei vielen Formen sexueller Übergriffe kommt es oft zum sogenannten Victim Blaming.

Victim Blaming oder auch ‚blaming the victim’ nennt sich zu Deutsch die sogenannte Täter*innen-Opfer-Umkehr. Diese tritt auf, wenn Opfer von Verbrechen oder unrechtmäßiger Handlungen für die Dinge verantwortlich gemacht werden, die ihnen angetan wurden.

Besonders wichtig ist für Betroffene, dass solche Vorfälle nicht im Geheimen bleiben, sondern zur persönlichen Verarbeitung darüber gesprochen wird. Catcallsofmuc bieten hierfür eine Plattform zur anonymen Veröffentlichung. Ihr Statement: »Du bist damit nicht alleine! Gemeinsam gegen Catcalling!«

»Hier ist eine Grenze erreicht und mit jeder neuen Nachricht, die wir bekommen und die wir auf die Straße schreiben heißt es eigentlich: ›Wir wollen, dass das die letzte Nachricht ist, wir wollen, dass ihr checkt, dass es nicht mehr geht‹. […] Ja, es [ist] natürlich ein Projekt, das sich fortentwickelt und das bleibt, aber eigentlich ist ja der Sinn davon, dass genau das aufhört​«. Jojo

Hast du Catcalling auch schon erlebt?

Warum gerade ich? Warum nicht jemand anderes? Das sind Fragen, die aufkommen können, wenn jemand von Catcalling betroffen ist. Viele fühlen sich in der Situation womöglich eingeschüchtert und hilflos.

Kritiker*innen der Debatte stellen häufig in Frage, wie Catcalling zu erkennen oder zu vermeiden ist, mit dem Argument, dass es immer subjektiver Natur ist, ob ein Kommentar als Grenzüberschreitung aufgefasst wird. Fiona von Catcallsofmuc entgegnet darauf:

»Und wenn man [es] in dem Moment, wenn man‘s ausspricht, nicht weiß. Dann weiß man‘s spätestens dann, wenn man die Reaktion der Person sieht«.

Ob auch noch andere Besucher*innen dieser digitalen Ausstellung Catcalls erfahren haben, kannst du durch das interaktive Catcalling-Bingo herausfinden. Klicke auf die ja/nein-Abstimmungen unter den einzelnen Sprüchen und schau dir an, wie viel Prozent der Teilnehmenden auch schon solch ein Spruch widerfahren ist.

»War doch bloß nett gemeint«

Resultate

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Beschimpft dich nach erfolgloser Anmache

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Möchte dich gegen deinen Willen in ein Gespräch verwickeln

Resultate

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Verfolgt dich

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Pfeift dir hinterher

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Deine Wut oder Empörung über einen Catcall wurde nicht ernstgenommen

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»Hey Süße*r, lass mal f*cken«

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Kommt dir körperlich zu nah

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Kommentiert deine Brüste

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Du hast eindeutig anzügliche Blicke erhalten

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Objektifiziert dich (macht bspw. Tiergeräusche dir gegenüber)

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»Schöne Lippen. Damit kannst du bestimmt gut bl*sen.«

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»Hey, willst du mit mir b*msen?«

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Kommentiert deinen Po

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Du wurdest schon mal als ‚Schl*mpe‘, ‚H*re‘ oder ‚B*tch‘ bezeichnet

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Dein »Nein« wurde nicht akzeptiert und respektiert

Resultate

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Ankreidung am Gärtnerplatz

Der aktivistische Alltag

Die Instagram Seite @catcallsofmuc bietet Opfern verbaler sexueller Belästigung (vor allem in München) einen Raum zum anonymen Austausch ihrer Geschichten.

Wird eine Person in der Münchner Öffentlichkeit verbal sexuell belästigt, so kann sie ihre Geschichte und den Ort des Geschehens der Seite @catcallsofmuc melden. Zunächst antworten die Initiatorinnen den Betroffenen immer individuell und zeigen dadurch Empathie für jeden einzelnen Vorfall. Anschließend gehen dann die Aktivist*innen los und schreiben dort, wo der Vorfall im öffentlichen Raum stattgefunden hat, mit bunter wasserlöslicher Kreide,ein prägnantes Zitat, das die Belästigung wiedergibt. Infolgedessen wird dann ein Foto der Ankreidung gemacht und auf ihrer Instagram-Seite, mit der anonymisierten Textnachricht, veröffentlicht.

Im nebenstehenden Bild ist ein angekreideter Catcall auf dem Münchener Gärtnerplatz zu sehen: »Hey, willst du mit mir bumsen?« #stopptbelästigung @catcallsofmuc

Bei ihren Aktionen sind sie immer zu zweit unterwegs: Eine*r kreidet an, eine*r macht Fotos und spricht mit den Passant*innen. Die Reaktionen seien sehr verschieden, erzählen die Aktivist*innen: Von Interesse, absolutem Verständnis und Lob bis hin zu Kritik und Beleidigungen ist laut ihnen alles dabei. Auf der Straße werden insbesondere auch die Menschen erreicht, die sich wenig bis gar nicht mit Social Media befassen, was eine enorme Bereicherung für das Projekt darstellt.

Um zu kennzeichnen, was die Intention des Ankreidens ist und um der Thematik mehr Gehör zu verschaffen, wird immer das Hashtag #stopptbelästigung oder #stopstreetharassment zu jedem Zitat geschrieben und die Instagram Seite @catcallsofmuc erwähnt.

Die gesamte Initiative lebt von Aufmerksamkeit. Sie will sensibilisieren und wachrütteln. Und durch die hervorgerufene Öffentlichkeit wird verbale sexuelle Belästigung unweigerlich politisiert (siehe: Protest).

… und warum Kreide?

Um die Zitate auf die Straße zu schreiben, benutzen die Aktivist*innen bunte Straßenmalkreide.
Rechtlich gesehen ist es legal an öffentlichen Plätzen etwas mit Kreide auf den Boden zu schreiben, auf privaten Grundstücken bedarf es hingegen der Zustimmung des/der Eigentümer*in. Die einzige Bedingung ist, dass man beim Ankreiden lediglich zu zweit sein darf, denn eine friedliche Versammlung ab drei Personen zu einem gemeinsamen Zweck bei innerer Verbundenheit gilt bereits als Demonstration, welche angemeldet werden muss.
Die Idee des Ankreidens stammt von der Gründerin Sophie Sandberg und wurde von den anderen catcallsof… lediglich übernommen. Die Kreide ist ein Einfaches und doch auch aufmerksamkeitserregendes Medium.

Zum einen ist Kreide nicht permanent, sondern wasserlöslich und verschwindet nach rund 24-48 Stunden wieder (je nach Wetter und Lokalität), zum anderen soll die Kreide auf die Doppeldeutigkeit des Wortes Ankreiden anspielen, erklären die Aktivist*innen. Die Kreide macht das Thema nicht nur sichtbar im öffentlichen Raum, sondern fungiert auch als Mittel zum »Ankreiden« im Sinne des Verantwortlichmachens des/der Täter*in.

Die bunte Straßenmalkreide werde von Passant*innen zunächst mit Kindheit und Unschuld assoziiert. Erst bei genauerem Hinsehen verschwinde zumeist das häufig zu Beginn hervorgerufene Lächeln, wenn sie erkennen, dass die auf den Boden geschriebenen Zitate eine verbale sexuelle Belästigung wiedergeben.

Ankreidung auf dem Marienplatz

Umgang mit Kraftausdrücken und gewaltvoller Sprache bei den Ankreidungen

Da das Projekt ursprünglich aus New York stammt, wo die dortige Rechtslage vorgibt, in der Öffentlichkeit und in den Medien Kraftausdrücke zu zensieren, wurde diese Art des Ankreidens übernommen. Die Münchner*innen der Catcallsofmuc wollen vor allem nicht, dass Kinder diskriminierende und gewaltvolle Wörter auf der Straße lesen (siehe: Sprache). Zudem sollen auch Eltern mit ihren Kindern problemlos stehenbleiben können und ihnen die Relevanz des Themas erklären, ohne dass beleidigende Wörter genannt werden müssen, erklärt Sofija.

 
»Frauen sind nur zum F*cken da. Ihr habt keine Meinungsfreiheit!« #stopptbelästigung @catcallsofmuc

Trotz alledem fühlten sich beispielsweise in Augsburg Passant*innen von einem angekreideten Catcall der @catcallsofaugsburg belästigt, obwohl mit Bedacht  #triggerwarnung und #rassismusbekämpfen dabeistand, und riefen die Polizei. An diesem Beispiel wird verdeutlicht, dass scheinbar der kritisierte Catcall selbst beziehungsweise das dahinterliegende strukturelle Rassismus- und Sexismus-Problem (siehe: Intersektionalität) innerhalb der Gesellschaft weniger relevant zu sein scheint, als die vermeintliche Belästigung durch die Ankreidung.

Beispiel: Augsburg, 07. Dezember 2020
#triggerwarnung #rassismusbekämpfen

Eine Aktivistin der Catcallsofaugsburg kreidete am 07. Dezember 2020 eine rassistische sexuelle Belästigung am Rathausplatz an. Sie zensierte Teile des Schriftzugs, trotzdem habe laut der Polizei Augsburg eine Gefahr für die öffentliche Ordnung bestanden.

»Ein Mann bot mir 50€ an, weil er ‚immer schon eine Schwarze f*cken wollte‘ und gratulierte mir zu meinem tollen Ne***arsch«.

Laut Catcallsofagusburg rückten ein großes Löschfahrzeug sowie drei Polizeiautos an, um mit mindestens fünf Feuerwehrpersonen und vier Polizist*innen den Kreideschriftzug zu entfernen.

Ankreidung auf Augsburger Rathausplatz

Warum wir Feminismus brauchen!

Bei den Initiatorinnen und Freiwilligen von Catcallsofmuc ist Feminismus ein zentraler und sehr wichtiger Begriff. Unter Feminismus verstehen sie keine oberflächlichen Debatten um Prozente, beispielsweise einer Frauenquote, sondern den Kampf gegen strukturell verankerte Probleme (siehe: Sexismus). Und obwohl sie unterschiedliche Sichtweisen auf Feminismus haben, sind sie sich in einer Forderung alle einig: Gleichberechtigung! Hier ein paar Einblicke…

»Feminismus ist für mich einfach ein sehr sehr wichtiger und sehr toller Begriff, weil ich ihn mit sehr vielen starken Persönlichkeiten verbinde und […] mit dem Kampf für Gleichberechtigung, sowohl [im] privaten als auch beruflichen Bereich. Und Feminismus hat für mich nichts mit ›​Frauen sind besser als Männer‹, ›Männer sind schlecht‹, ›Männer sind böse‹, zu tun, sondern wirklich einfach mit mehr Respekt und mehr auf den [persönlichen] Charakter achten […]. [A]uf die Stärken und auch [auf] die Schwächen von Personen achten, aber nicht aufgrund des Geschlechts. Und das finde ich einfach sehr wichtig, […] und ich finde, dass Feminismus da eine sehr wichtige Sache ist, um dieses Schubladendenken zumindest in gewissen Bereichen loszuwerden.« Sofija, Initiatorin
»Ich find auch, intersektionaler Feminismus, da geht es einfach um die Akzeptanz aller Menschen so wie sie sind und […], dass man […] schätzt, dass man Unterschiede hat. Also das hat auch nichts damit zu tun, zu sagen […], dass es keine Unterschiede gibt zwischen Menschen oder so, aber es geht einfach darum, dass wir alle gleich wert sind und jeder hat unterschiedliche Schwächen und Stärken. […] Für mich hat es auch viel [damit zu tun], wie Sofija gesagt hat, raus aus diesem Geschlechterdenken und raus aus diesem […] Schubladendenken: ‚ja du bist so, weil du eine Frau bist oder du bist so, obwohl du eine Frau bist‘. So raus davon und einfach zu verstehen, okay da sitzt gerade ein Individuum vor mir und deswegen finde ich Feminismus extrem wichtig. Das bedeutet Feminismus für mich […]. Diese Akzeptanz des Individuums und einfach verstehen, dass wir alle unterschiedlich sind und dass es auch toll so ist.« Julia, Initiatorin
»Ich war noch nie ein Fan von dem Wort Feminismus persönlich. Früher war das auch deswegen so, […], da ich immer dieses Bild […] im Kopf hatte, dass Feministen immer so Leute sind, die mit einem brennenden BH über die Straße laufen und so Wut-Aktivisten sind, die immer […] so ein Stereotyp an den Tag legen und einfach keine freundlichen Menschen sind. [D]ieses Bild hab’ ich jetzt auf keinen Fall mehr und ich finds auch traurig, dass es das Bild überhaupt gibt. Und auch eigentlich Leute, die im Grunde feministisch sind, so wie ich, früher oder auch immer noch so ein Bild davon haben. Ich bin trotzdem immer noch kein Fan von dem Wort, weil es meiner Meinung nach immer noch die Ungleichheit herausstellt. Jeder, der sich für Frauenrechte oder generell Menschenrechte einsetzt, ist ein Feminist und kein ganz normaler Mensch, dabei sollte es ja eigentlich normal sein, dass man feministisch ist […]. Eigentlich sind viel mehr [Menschen] Feministen als sie sich bezeichnen. Mittlerweile hat sich ja auch [der Begriff] intersektionaler Feminismus […] etabliert, obwohl […] der Feminismus der gleiche wie davor war. Aber jetzt muss man das betonen […], dass es da keine Missverständnisse gibt, dass [der Feminismus alle möglichen Hintergründe mitberücksichtigt], dabei war das davor auch so. Also ich find man betont mit solchen Begriffen einfach nur mehr, dass da was falsch läuft.« Fiona, Aktivistin
»Feminismus, ist ja ein rieeesiges Feld. Aber ich glaube Feminismus bedeutet für mich […] die Bemächtigung der Frau oder eigentlich, dass Frauen sich wieder holen was es bedeutet eine Frau zu sein. Also, dass es nicht von außen festgelegt wird, ob eine Frau so auszusehen hat, so zu sein hat, das zu tun hat, sondern dass Frauen das komplett selber festlegen können. Und wenn es dann ist zu Hause zu bleiben und drei Kinder zu bekommen und zu kochen, dann kann es das auch sein. Also es kann alles sein […]. Ich finde Frau sein ist eben etwas was nicht ein überlieferter fest gesteckter Rahmen sein sollte, in dem sich dann jedes Mädchen ab 13 Jahren einpassen soll, sondern das ist etwas was Frauen sich wieder holen, das ist das eine. Was ich aber auch wichtig finde zu betonen ist, dass Feminismus nicht nur was für Frauen ist, sondern auch alle Männer betrifft, weil meiner Meinung nach Feminismus die einzige Strömung ist, die auch dem Mann gut tun könnte, ehrlich gesagt, weil die Männlichkeit auch da einfach wieder so ein bisschen enttoxi[siert] wird. Alles toxische wird runtergenommen und Männer können aufhören das Übergeordnete [zu sein], also […] die Kontrolle haben zu müssen. Nicht jeder Mann muss immer wissen, wo es langgeht und muss irgendwie aufpassen. Nicht jeder Mann muss protektiv sein. […] Sondern Männer können eben dadurch, dass Weiblichkeit neu definiert wird, auch Männlichkeit neu definieren. Und das glaub ich bedeutet Feminismus für mich. Einfach, diese Freiheit der Geschlechter, und zwar auch der des männlichen Geschlechts und nicht nur des weiblichen Geschlechts.« Jojo, Aktivistin
»Für mich persönlich heißt das einfach, dass jeder das machen kann, was er möchte: Also, dass es da keine sozialen Barrieren gibt, in jeglichen Bereichen, natürlich auch wirtschaftlich, politisch, usw., dass Frauen jegliches Amt belegen können. [V]or allem [aber] auch sozial, also in dem was ich in meinem Leben machen möchte. Möchte ich Nonne werden, möchte ich Prostituierte werden, alles ist möglich. Also, [dass] keiner verurteilt wird, für das was er oder sie eben machen möchte mit sich selber. Und das geht dann in beide […] Richtungen, also zum Beispiel mit der Kleidung: du kannst dich anziehen, wie du möchtest, so kurz und knapp wie du möchtest. Wenn du einen Hijab tragen möchtest oder eine Burka und das deine freie Wahl ist, dann kannst du das [und] musst das auch unbedingt machen können. Eigentlich die Möglichkeit der freien Wahl, eben vor allem für Frauen ohne soziale Konsequenzen.
Ich finde es sollten eigentlich alle Menschen auf der Welt Feministen sein, weil das Ziel von Feminismus eben ist die Gleichberechtigung, die Gleichberechtigung auf allen Ebenen von allen Menschen. Ich mein Feminismus setzt sich ja auch wie gesagt für alle ein, vor allem für Frauen, aber gleichzeitig auch für LGBTQ-Personen, für nicht-binäre Personen und eben auch für Männer. Und außerdem find ich es einfach eine grundlegende menschliche Eigenschaft zu sagen: ‚Hey, ich möchte, dass alle Menschen, dass es allen Menschen […] gut geht und die selben Chancen haben‘.« Stefania, Aktivistin

Autorin: Noreen Osterlehner

Quellen
Gesetz zur sexuellen Belästigung, (Art. 184i StGB). URL: https://dejure.org/gesetze/StGB/184i.html (01.03.2021).
Glum, Luise (2019): Schluss mit der Belästigung. In: Süddeutsche Zeitung, 23.06.2019. URL: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-catcalling-belaestigung-catcallsofmuc-1.4495753 (23.01.2021).
Harassment Assault Law-Student Team (2021): How to Avoid Victim Blaming. In: Harvard Law School Halt. URL: https://orgs.law.harvard.edu/halt/how-to-avoid-victim-blaming/ (23.01.2021).
Instagram-Seite: @catcallsofaugsburg, Beitrag vom 08.12.2020, 09.12.2020.
Instagram-Seiten: @catcallsofmuc, @catcallsofnyc, @chalkbackorg
Statistiken aus dem Instagram-Algorithmus von @catcallsofmuc: Stand: 06.12.2020 bei 9221 Abonnent*innen.
Quell, Antonia (2020): Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein. Petition. URL: https://www.openpetition.de/petition/online/es-ist-2020-catcalling-sollte-strafbar-sein (23.01.2021).
 
Bildquellen
Bild »#stopptbelästigung @catcallsofmuc«, Januar 2021, Fotografin: Noreen
Bild »Ankreidung am Odeonsplatz«, Februar 2020, Fotografin: Sofija
Bild »Instagram Feed der @catcallsofmuc«, Dezember 2020
Bild »Ankreidung am Gärtnerplatz«, Mai 2019, Fotografin: Olga
Bild »Catcalls-Symbol mit Kreide«, Januar 2021, Fotografin: Noreen
Bild »Ankreidung auf dem Marienplatz«, Juli 2020, Fotografin: Fiona
Bild »Ankreidung auf dem Augsburger Rathausplatz«, 07.12.2020, Fotograf*in: Klimacamp Augsburg