»Nehmen wir als Beispiel eine Straßenkreuzung, an der der Verkehr aus allen vier Richtungen kommt. Wie dieser Verkehr kann auch Diskriminierung in mehreren Richtungen verlaufen. Wenn es an einer Kreuzung zu einem Unfall kommt, kann dieser vo[m] Verkehr aus jeder Richtung verursacht worden sein – manchmal gar von Verkehr aus allen Richtungen gleichzeitig. Ähnliches gilt für eine Schwarze Frau, die an einer ‚Kreuzung‘ verletzt wird; die Ursache könnte sowohl sexistische als auch rassistische Diskriminierung sein.« (Crenshaw 2013: 40)

Dieses Zitat stammt von der US-amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw, die 1989 den Begriff der Intersektionalität etablierte. Angelehnt ist er an das englische Wort »Intersection« – übersetzt: Straßenkreuzung. Crenshaw wählte diese Metapher bewusst, um deutlich zu machen, dass Schwarze Frauen sich kreuzende Diskriminierungen erfahren. Damit setzte Crenshaw einen Rahmen, um die Gleichzeitigkeit verschiedener Diskriminierungserfahrungen aufgrund sozialer Kategorisierungen zu fassen. Avtar Brah dazu: »structures of class, racism, gender and sexuality can not be treated as ›independent variables‹ because the oppression of each is inscribed within the other – is constituted by and is constitutive of the other« (Brah 1993; zt. n. Binder/Hess 2011: 17). An dieser Definition wird deutlich, dass Brah die jeweiligen Dimensionen von Ungleichberechtigung nicht nur als einander kreuzend wie Crenshaw, sondern als ineinander eingeschrieben betrachtet.
Intersektionalität bezeichnet dementsprechend ein Konzept bzw. Analyseinstrument, das sich »Kategoriesysteme als sich kreuzende, überschneidende, überlagernde ‚Linien‘, ‚Achsen‘ oder ‚Architekturen‘ einer komplexen Macht-Matrix« (Binder/Hess 2011: 16f.) vorstellt und die »integrale und interdependente Verwobenheit von Kategorien« (ebd.) betont.

Solche Kategorien sind »class, race, gender«, aber auch Sexualität, Alter etc. Schon bevor Crenshaw das Konzept benannt hatte, gab es im Schwarzen Feminismus intersektionale Ansätze zur Analyse von Herrschafts- und Machtverhältnissen. Bereits 1977 beschrieb das – in jener Zeit von Schwarzen lesbischen sozialistischen Frauen in den USA gegründete – »Combahee River Collective« in »A Black feminist Statement« die eigene Haltung: »Wir […] sehen es als unsere spezielle Aufgabe, eine integrierte Analyse und Praxis zu entwickeln, die auf der Tatsache beruht, dass die Hauptunterdrückungssysteme miteinander verschränkt sind. Unsere Lebensbedingungen entstehen aus der Synthese dieser Unterdrückungsformen.« (The Combahee River Collective 1977: 50). Das Konzept der Intersektionalität entstand somit aus ganz konkreten Diskriminierungserfahrungen vor allem von Schwarzen Frauen und Women of Colour (wobei die Kritik auch andere Diskriminierungskategorien als Geschlecht im Feminismus mitzudenken auch z.B. von Arbeiterinnen in der ersten und von lesbischen Frauen in der zweiten Frauenbewegung formuliert wurde) und wurde innerhalb sozialer Bewegungen immer wieder weiterentwickelt, bevor es zu einer wichtigen Analyseperspektive in den Kultur- und Sozialwissenschaften wurde. Es ist an der Schnittstelle von Praxis und Theorie zu verorten.

Auch in dieser Ausstellung vertreten einige der Initiativen und Gruppen einen intersektionalen Feminismus und machen ihn zu einem Grundprinzip ihres politischen Handelns. Wie beispielweise der Ausstellungsraum über die aktivistische Arbeit von Ni Una Menos Munich deutlich macht, wo die Kämpfe migrantischer Frauen im Zentrum stehen. Zwar findet sich in der Selbstbeschreibung das Konzept der Intersektionalität nicht explizit, trotzdem ist ein intersektionaler Ansatz für die Aktivistinnen ein wichtiges Instrument, um gegebene Strukturen – wie die gleichzeitige Erfahrung von Rassismus und Gewalt gegen Frauen – deutlich zu machen. Gleiches gilt für das Engagement der Netzwerkfrauen-Bayern. Sie setzen sich für die Rechte und Bedarfe von Mädchen und Frauen mit Behinderung ein, die Diskriminierung wegen ihres Geschlechts und ihrer Behinderung erfahren.

Aufgrund der eigenen sozialen Positionen als migrantische Frauen oder Frauen mit Behinderung und der damit einhergehenden Lebensrealität sind diese beiden Gruppen mit mehreren sich gegenseitig bedingenden und verstärkenden Unterdrückungsmechanismen konfrontiert. Eine intersektionale Perspektive lässt sich allein auf Basis der eigenen Betroffenheit der Aktivistinnen in der politischen Praxis kaum ausklammern.

Daneben gibt es Gruppen wie die Antisexistische Aktion München (ASAM) oder Wepsert, die programmatisch einen intersektionalen Feminismus verfolgen. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, Ungleichheitserfahrungen aufgrund sich überschneidender Unterdrückungsformen in ihrer Praxis immer mitzudenken, vielfältige Perspektiven und Lebensrealitäten einzubeziehen und zu berücksichtigen. Gleichzeitig haben beide Initiativen Schwierigkeiten, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Denn sowohl bei ASAM als auch bei Wepsert handelt es sich um relativ homogene Gruppen, die aus weißen (häufig akademischen) Frauen bestehen. Aufgrund der eigenen Subjektpositionen der Aktivist*innen und der Gruppenzusammensetzung ist es schwierig, tatsächlich Perspektiven mehrfach marginalisierter Menschen mitzudenken und auch sichtbar zu machen. Trotzdem nehmen sich immer mehr feministische Initiativen und Projekte diesem Anspruch eines intersektionalen Feminismus an und versuchen über neue Wege und Protestformen diesem gerecht zu werden: z.B. indem sie ihre Gruppen öffnen und niedrigschwelliger gestalten, ihre Themensetzungen anpassen sowie Allianzen und Bündnisse mit Aktvist*innen schließen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind.

 

Literatur:
Crenshaw, Kimberlé (2013): Die Intersektion von »Rasse« und Geschlecht demarginalisieren: Eine Schwarze feministische Kritik am Antidiskriminierungsrecht,
der feministischen Theorie und der antirassistischen Politik. In: Lutz, Helma; Vivar; María Teresa Herrera; Supik, Linda (Hg.): Fokus Intersektionalität. Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzeptes. Wiesbaden, S. 35 – 58.
Binder, Beate; Hess, Sabine (2011): Intersektionalität aus der Perspektive der Europäischen Ethnologie. In: Hess, Sabine; Langreither, Nikola; Timm, Elisabeth (Hg.): Intersektionalität revisited. Empirische, theoretische und methodische Erkundungen. Bielefeld, S. 15–52.
The Combahee River Collective (1977): Ein Schwarzes feministisches Statement. In: Kelly, Natasha A. (Hg.): Schwarzer Feminismus. Grundlagentexte. Münster, S. 49 – 62.
Von Ilona Gerdom
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