Die von uns vorgestellten feministischen Initiativen und Bewegungen greifen auf unterschiedlichste Formen des Protests zurück, wobei Protest als eine verbale oder nonverbale Form des politischen Handelns zu verstehen ist, das auf Missverhältnisse oder Interessen aufmerksam macht. Er deutet damit »[…] Konflikte an oder erzeugt sie, er kann universalistische hehre Ziele verfolgen, er kann auch für partikulare Belange stehen (Nassehi 2020: 7)«. Das Ziel des Protesthandelns ist dabei die Einflussnahme auf die öffentliche Meinung oder Politik bzw. erwünschte Veränderungen im jeweiligen Diskurs herbeizuführen. Prinzipiell ist es die Wahl der Akteur*innen ihren Protest entweder kooperativ oder konfrontativ zu gestalten. Es wird hierbei entweder zu etwas Bestimmten aufgerufen bzw. soll mobilisiert werden. Proteste können informieren, aber auch abschrecken oder provozieren (vgl. Schönberger/Sutter 2009: 22).
Die Entwicklung von Protestformen ist zudem wesentlich von der Struktur des vorherrschenden politischen Systems, von kulturellen Traditionen und vom Grad staatlicher Repressionen (vgl. Haunss 2009: 36f) abhängig. Historisch gesehen hoben bspw. (Massen-)Demonstrationen, im Gegensatz zu direkten, physischen Konfrontationen, politische Belange auf eine allgemeinere Ebene und etablierten dadurch einen „indirekten Weg der Repräsentation“ (ebd. 37) um eine Einflussnahme zu erreichen. Ebenso greifen soziale Bewegungen in der Regel auf bewährte Formen des Protests zurück und passen ihn graduell den gegebenen Rahmenbedingungen an (ebd. 38). Beispielsweise beschreiben Ricarda Düreke und Elisabeth Klaus, dass Verkleidungen, Improvisationen und Provokation wichtige Bestandteile der feministischen Bewegungen der 1970er Jahre wurden (vgl. Düreke/Klaus 2019: 936), da dominante Geschlechternormen mit Praktiken der Performanz effektiver in Frage gestellt werden konnten und dadurch öffentlichkeitswirksamer wurden. Auch der von uns vorgestellte Slutwalk greift auf performative Praktiken zurück, indem durch Kleidung und Inszenierung »Zuschreibungen an weibliche Körper […] thematisiert und umgedeutet« (ebd.) und dadurch normative Geschlechterordnungen kritisiert werden. Auch bei Ni Una Menos Munich und Antisexistische Aktion München (ASAM) werden Demonstrationen mit weiteren performativen Praktiken (z.B. Tanz) erweitert bzw. modifiziert. Ebenso können einzelne Protestformen kombiniert werden und dadurch neue Arten des Protests erzeugen. Ein Beispiel aus den von uns vorgestellten Initiativen und Bewegungen ist die Praxis des Ankreidens der catcallsofmuc. Die Aktivist*innen greifen für die Sichtbarmachung sexueller Belästigung auf Straßenmalkreide zurück und verwenden bewusst die anzüglichen Sprüche der Belästiger.

Neben dem performativen Handeln spielt ebenso die mediale Kommunikation eine wichtige Rolle bei Protestformen, indem sie zusammen entscheiden wer oder was erreicht bzw. adressiert und wie »das inhaltliche Anliegen des Protests artikuliert und kommuniziert« (Schönberger/Sutter 2009: 18f) und schließlich inszeniert wird. Im Gegensatz zu performativen Protestformen wie Demonstrationen, Blockaden oder Sit-ins, bedürfen rein mediale Arten, wie Flugblätter, Graffitis aber auch Musik, nicht die physische Anwesenheit der Akteur*innen per se, um ihre Wirkung bzw. Forderung zu transportieren. In der Gegenwart tragen soziale Medien und Internet ebenso wie Printmedien, TV, Radio etc. zur Verbreitung und Entstehung neuer Protestformen bei. Dachte man Ende der 1990er Jahre zunächst, dass die stetig voranschreitende Vernetzung und neu aufkommende Medienpraxen dazu führen würden, dass klassische Protestarten wie Demonstrationen massiv abnehmen werden, stellte sich heraus, dass sich »[…] mittlerweile eine Praxis entwickelt [hat], in der Mediennutzung und mediale Selbst-Repräsentation zu integralen Teilen des lokal gebundenen Straßenprotests werden« (Hamm 2006: 78). Ein Effekt von neu angeeigneten Kommunikationswegen ist dementsprechend, dass Protest, bzw. der Verweis auf etwaige Missstände in Gesellschaftsgefügen, mehr gesellschaftliche Reichweite als zuvor erlangt. Ein weiterer Effekt ist, dass sich soziale Bewegungen dezentraler organisieren oder (transnationale) Plattformen und Austausch bieten können. Auch wird online stattfindendes, politisches Handeln ermöglicht, wie bspw. beim von uns vorgestellten Online-Magazin Wepsert.

Literatur:
Düreke, Ricarda; Klaus, Elisabeth (2019): Feministische Öffentlichkeiten: Formen von Aktivismus als politische Intervention. In: Kortendiek, Beate; Riegraf, Birgit; Sabisch, Katja (Hg.): Handbuch für interdisziplinäre Geschlechterforschung. Wiesbaden, S. 931-939.
Hamm, Marion (2006): Proteste im hybriden Kommunikationsraum: Zur Mediennutzung sozialer Bewegungen. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 19.2, S. 77-90.
Haunss, Sebastian (2009): Die Bewegungsforschung und die Protestformen sozialer Bewegungen. In: Schönberger, Klaus; Sutter, Ove (Hg.): Kommt herunter, reiht euch ein… Eine kleine Geschichte der Protestformen sozialer Bewegungen. Berlin/Hamburg, S. 30-45.
Nassehi, Armin (2020): Das große Nein. Eigendynamik und Tragik des gesellschaftlichen Protests. Hamburg.
Schönberger, Klaus; Sutter, Ove (2009): Kommt herunter, reiht euch ein… Zur Form des Protesthandelns sozialer Bewegungen. In: (Dies.): Kommt herunter, reiht euch ein… Eine kleine Geschichte der Protestformen sozialer Bewegungen. Berlin/Hamburg, S. 7-29.
von Georg Gampenrieder

 

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