Körperliche und sexuelle Selbstbestimmung bedeutet in erster Linie, selbst und frei über den eigenen Körper und die eigene Sexualität bestimmen zu können. In diesem Zusammenhang wird auch häufig von reproduktiven Rechten oder reproduktiver Gesundheit gesprochen. Dazu gehören zum Beispiel die freie Entscheidung in Bezug auf Elternschaft, Anzahl und Zeitpunkt von Geburten sowie die Möglichkeit, über notwendige Informationen und Mittel zu verfügen (Piesche 2018).

Der menschliche Körper begrenzt, markiert und beglaubigt im Alltagsverständnis eine vermeintlich eindeutige geschlechtliche Existenz (Schmincke 2018). Geschlechter- und Körperforschung zeigen jedoch, dass Körperkonzepte und Körperwahrnehmung, Geschlechternormen und Geschlechterpraxen sozial gerahmt, historisch wandelbar und kulturell spezifisch sind, wie die Soziologin Imke Schmincke deutlich macht. Die Naturalisierung von Geschlecht zog häufig politische Folgen nach sich und rechtfertigte sowohl Teilhabe als auch Ausschluss (ebd.). Die zweite Frauenbewegung rückte diese Ungleichheiten, die aus der Beherrschung und Naturalisierung des weiblichen Körpers hervorgingen, ins Zentrum ihrer politischen Anliegen und machte sich für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung stark.

Ab den 1970er Jahren lassen sich nach Barbara Duden rund um den Körper drei Konfliktlinien feministischer Kritik ausmachen (vgl. Duden 2004: 504):
So begannen Feministinnen in den 1970er Jahren, die Ideologie der biologischen und daher auch sozial prädeterminierenden Frauen-Natur abzustreifen. Der epistemische Gegensatz von sex und gender ging in die Selbstwahrnehmung der Frauen ein (vgl. ebd.: 504 f.).
Außerdem untersuchten die Feministinnen der Zweiten Frauenbewegung die Geschichte der Körperpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts, um die jahrhundertealte Beherrschung weiblicher Körper und deren historische Gewordenheit sichtbar zu machen (vgl. ebd.: 505 f.).
Zur selben Zeit kam es zur »Rückeroberung des weiblichen Körpers«. Die Forderungen der Frauenbewegung konzentrierten sich hierbei vor allem auf das Recht auf Abtreibung sowie auf Informationen und Zugang zu empfängnisverhütenden Mitteln zu bekommen (vgl. ebd.: 506 f.). Auch entwickelten Feministinnen in dieser Zeit eigene Materialien und Publikationen zu Frauengesundheit, begannen sich in Gruppen selbst zu untersuchen und eröffneten später auch Frauengesundheitszentren. Das zentrale Anliegen der Frauenbewegung war es, deutlich zu machen, dass das Private politisch ist und Geschlechterungleichheiten aus einem tief verwurzelten und alle Lebensbereiche umfassenden Herrschaftssystem hervorgehen (Wirth 2008). »Der Zugriff auf den weiblichen Körper wurde als wesentlicher Teil der Frauenunterdrückung gesehen« (ebd.). Weitere Themen dieses Kampfes für ein Recht auf körperliche Selbstbestimmung waren Gewalt gegen Frauen, Pornographie und die Darstellung und Verwertung des weiblichen Körpers in der Werbung (ebd.).
Wenngleich die Zweite Frauenbewegung einige wichtige Erfolge zu verzeichnen hatte, so spielt die körperliche Selbstbestimmung auch für zeitgenössische feministische Bewegungen in vielen Bereichen eine wichtige Rolle – genannt seien hier beispielsweise das Recht auf das freie Ausleben von Sexualität, Elternschaft, Schwangerschaftsabbruch und die Unversehrtheit des eigenen Körpers.

Außerdem kämpfen Frauen heutzutage vermehrt mit durch die Medien vermittelten widersprüchlichen und beinahe unerreichbaren Schönheitsidealen und einer ständigen Bewertung ihrer Körper, wobei die Formbarkeit des eigenen Körpers auch als Selbstermächtigung und Empowerment verhandelt wird (vgl. Eismann 2014). Sonja Eismann sieht auch darin einen Ausdruck der patriarchalen Beherrschung weiblicher Körper, die jedoch viel schwieriger zu bekämpfen sei: »Was früher als gesellschaftliche Verordnung extern lokalisiert und damit auch – zumindest stellenweise – bekämpfbar wurde, hat sich nun nach innen verlagert und ist damit Teil des eigenen Wunsches, der eigenen Identität geworden« (ebd.: 184). So hätten sich Selbstermächtigungsstrategien der zweiten Frauenbewegung mittlerweile auf paradoxe Weise »gegen die Frauen gewendet« (ebd.: 185).
In dieser Ausstellung wird in mehreren Räumen explizit auf das Thema körperliche Selbstbestimmung eingegangen:
So setzen sich die Netzwerkfrauen-Bayern zum Beispiel dafür ein, dass Frauen mit Behinderungen einen uneingeschränkten Zugang zu gynäkologischen Einrichtungen und damit verbunden zu gesundheitlicher Vorsorge, Verhütungsmitteln und Beratung rund um das Thema Sexualität und Elternschaft bekommen. Der Slutwalk und catcallsofmuc engagieren sich gegen sexuelle Übergriffe sowie das sogenannte Victim-Blaming, dem zufolge Opfer sexueller oder sexualisierter Gewalt beispielsweise aufgrund ihrer Bekleidung eine Mitverantwortung an den Übergriffen hätten.
Die Antisexistische Aktion München (ASAM) und Ni Una Menos Munich engagieren sich für körperliche Selbstbestimmung, indem sie sich für reproduktive Rechte in Deutschland einsetzen. Beispielsweise kämpfen sie für die Abschaffung des Paragrafen 218, der Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert.
Clubs und Diskotheken gelten als unsichere Orte des Körperlichen: Sexuelle Belästigung kann aufgrund der vielen Menschen in den beengten Locations nur schwer nachgegangen werden. Dem versuchen feministisch engagierte Mitglieder der Münchener Technoszene entgegenzuwirken. Hierbei wird auf Bewusstseinsbildung auch bekannt als Awareness-Arbeit gesetzt, damit Clubs und Diskotheken zu sicheren Räumen werden, in denen jede*r frei über den eigenen Körper bestimmen kann.

 

Literatur:

Duden, Barbara (2004): Frauen-„Körper“. Erfahrung und Diskurs (1970-2004). In: Becker, Ruth; Kortendiek, Beate (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden, S. 504–518.
Eismann, Sonja (2014): Weibliche Körper als Ressource Von der Selbstermächtigung zur Selbstoptimierung. In: Franke, Yvonne et al. (Hrsg.): Feminismen heute. Bielefeld, S. 183-189.
Piesche, Peggy (2018): Einführung: Reproduktive Rechte – Definition und Debatten. In: Heinrich Böll Stiftung. URL: https://www.boell.de/de/2018/02/28/reproduktive-rechte (25.02.2021).
Schmincke, Imke (2018): Körper. In: Gender Glossar / Gender Glossary. URL: https://gender-glossar.de/glossar/item/88-koerper (19.02.2021).
Wirth, Maria (2008): »Das ›Private ist politisch‹ – Die Zweite Frauenbewegung und die Frage des Schwangerschaftsabbruchs«. In: Demokratiezentrum Wien. URL: http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=417&index=1809 (25.02.2021).
Von Elena Zendler
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