»Queer« bedeutet ins Deutsche übersetzt »seltsam« oder »eigenartig« und galt im englischsprachigen Raum lange Zeit als Schimpfwort für alle, die aufgrund ihres Aussehens, ihrer Lebensform oder ihrer sexuellen Praxis von der normativen Vorstellung von Geschlecht und Sexualität abwichen (Woltersdorf 2003: 915). In den 1980er Jahren in den USA begannen ebenjene marginalisierte Gruppen – Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* und inter* Personen – sich die abwertende Bezeichnung »queer« anzueignen und dieser einen »provokanten, kämpferischen Charakter« zu verleihen: »Queer entstand also als eine neue Form der Bündnispolitik von sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Außenseiterinnen und Außenseitern, die deshalb auch als ›Regenbogenkoalition‹ bezeichnet und symbolisiert wurde« (ebd.). Im deutschsprachigen Raum fand ebenfalls eine – wenn auch verhaltenere – Aneignung des Begriffs »queer« von sozialen Bewegungen statt. In der Wissenschaft dagegen wurde queere Theorie und Politik sehr stark rezipiert (ebd.: 920).

Queerfeminismus kann insbesondere in den deutschsprachigen Auseinandersetzungen als feministische Strömung bezeichnet werden, die sich in Bezugnahme auf Queer Theory in ein akademisches (erkenntnistheoretisches) und ein politisches Projekt ausdifferenzieren lässt (vgl. Hark 2005: 285 ff). Queere Theorien können von ihrem ursprünglichen Ansatz aus als Theoretisierungen von Sexualität verstanden werden. Sexualität wird analysiert als Konfiguration, Instrument und Effekt von Machtbeziehungen. Feministische Theorien sind in ihrer dezidierten Abgrenzung zu queerer Theorie Kulturtheorien, die auf Geschlecht als Identitätskategorie bezugnehmen und darüber ihre Kritik an ebenjener kulturell-hegemonialen Verfasstheit von Gesellschaft formulieren. »Dabei ist ein deutliches Charakteristikum deutschsprachiger […] Queer Studies, dass queere und feministische Perspektiven aufeinander bezogen und nicht als sich wechselseitig ausschließende begriffen werden« (Hark 2005: 290). So bilden sie die Grundlage für einen Queerfeminismus.

Die erkenntnistheoretische Dimension queerfeministischer Debatten geht davon aus, dass Sexualität, geschlechtliche Identität und Körper nur durch eine Matrix kulturellen Wissens erfahr- und verstehbar sind (vgl. Butler 1991: 22 ff; Butler 1995). Somit sind diese Kategorien zum einen ins Verhältnis zu gesellschaftlich-strukturellen Hegemonieverhältnissen gesetzt, zum anderen als kulturelle Konstruktionen grundlegend verhandel- und veränderbar, weil auch dominante Identitätskategorien und Verhältnisse stetig neu hergestellt werden müssen (vgl. Butler 1995: 22 ff).

Queerfeministische Praxis nutzt den Modus der störenden Performanz (Butler 1995: 35), um etablierte kulturell vergeschlechtlichte Praxen und Konzepte zu »durchqueeren« und zu unterwandern, von der Sprache bis hin zu habituellen Merkmalen wie zum Beispiel Kleidungsstilen oder auch Alltagspraktiken, die geschlechtlich gelesen werden. Dominante Repräsentationen, die sich ständig reproduzieren, werden subversiv aufgebrochen. Verhandelter Gegenstand ist dabei Geschlecht als ein naturalisiertes und binäres Konzept mit den Polen männlich und weiblich, oder Heteronormativität, also die normative Orientierung an heterosexuellem Begehren und den sich daraus ableitenden Ordnungen und Ausschlüssen. Das Ziel queerfeministischer Politiken ist eine Repräsentation, Legitimation und Akzeptanz geschlechtlicher Differenzen und Vielfalt mit dem revolutionären Fokus auf der Aufhebung geschlechtlich differenzierter Ungleichheit und Unterdrückungsmechanismen, wie z.B. in den Ausstellungsräumen zur Antisexistischen Aktion München (ASAM), dem Slutwalk oder auch bei Interventionen in der Technoszene. In diesem Sinne ist queerfeministisches Denken und Handeln eine übergreifende Repräsentationspolitik, wird aber häufig als identitäre Minderheitenpolitik kritisiert.

Der Angriff auf dominante bzw. normative Identitäten und Konzepte, wie Heterosexualität und binäre Geschlechtsidentität, rückt queerfeministische Repräsentationspolitik oftmals ins Zentrum antikapitalistischer feministischer Kritik. Zentral ist hier die Thematisierung von Identität, die als Ressource und Produktionsfeld neoliberaler Herrschaftslogik betrachtet wird. Das revolutionäre, gesellschaftsverändernde Potenzial queerfeministischer Repräsentation und Praxis würde sich in einem Nebenwiderspruch verfangen und bestehende, an die grundlegend kapitalistische Verfasstheit der Gesellschaft gekoppelte Ungleichheitsverhältnisse reproduzieren (vgl. Linkerhand 2017; vgl. Duggan 2002). Dem liegt auch der Vorwurf zu Grunde, das Subjekt »Frau« abschaffen zu wollen und damit feministischer Politik die Grundlage für ihre Kämpfe zu entziehen (vgl. Butler/Hark 2017).

Queerfeminismus bildet im Rahmen unserer Ausstellungsräume vor allem eine Grundlage für das Verständnis von Geschlecht als sozial konstruiert und als Effekt und Produktionsort kulturell-normativer Ordnungsstrukturen. Die Praxen der Performanz, der Subversion und des »Durchqueerens« etablierter Strukturen, z.B. in Form von Interventionen, markieren praktische Richtlinien. In Bezug auf Judith Butler, deren Konzept von Queer beinhaltet, dass jegliche Anerkennung als Subjekt ausgehandelt und erkämpft werden muss, lassen sich allerdings Themen wie sexualisierte Gewalt, Repräsentation und Sichtbarkeit oder auch der Kampf für körperliche Selbstbestimmung und gegen das Patriarchat nicht immer vollständig von der Subjektkategorie »Frau« ablösen. Das Subjekt »Frau« bleibt also in der Praxis oftmals kulturell vorausgesetzt und umkämpft.

 

 

Literatur:
Butler, Judith (1991[1990]): Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main.
Butler, Judith (1995): Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Berlin.
Butler, Judith/ Hark, Sabine (2017): Gender-Studies: Die Verleumdung. In: DIE ZEIT Nr. 32/2017, 3. August 2017
URL: https://www.zeit.de/2017/32/gender-studies-feminismus-emma-beissreflex
Duggan, Lisa (2002): The New Homonormativity: The Sexual Politics of Neoliberalism. In: Castronovo, Russ/ Nelson, Dana (Hg.): Materializing Democracy: Towards a Revitalized Cultural Politics. Durham, S. 175-194.
Hark, Sabine (2005): Queer Studies. In: Braun, Christina von/ Stephan, Inge (Hg.): Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien. Köln, S. 285-303.
Linkerhand, Koschka (2017): Treffpunkt im Unendlichen. Das Problem mit der Identität, In: l`Amour laLove, Patsy (Hg.): Beißreflexe: Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehn- süchten, Sprechverboten, 4. Aufl., Berlin, S. 56–64.
Woltersdorff, Volker (2003): Queer Theory und Queer Politics. In: UTOPIE kreativ 156 (Oktober 2003), S. 914-923
von Enea Cocco
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