Feministischer Journalismus

»Klappe halten und die anderen sprechen lassen«

Plattformen geben, sichtbar machen und empowern: Wie das feministische Online-Magazin Wepsert Altes aufbrechen und Neues schaffen will. Und dabei auch immer wieder an Grenzen stößt.

Ilona Gerdom

Es waren einmal vier Frauen…

Es waren einmal vier Frauen…

…die sich gerne über feministische Literatur austauschten

Alisha, Heike, Rebecca und Ricarda haben ein gemeinsames Interesse: Schreiben. Bei der einen ist es Prosa, bei der anderen Lyrik. Angefangen hat alles in einer Schreibwerkstatt. Dort haben sie sich kennengelernt. Dieser Kurs auf freiwilliger Basis bot die Möglichkeit, Texte zu schreiben und sie gemeinsam zu diskutieren. Allerdings kam es oft dazu, dass Geschichten vorgestellt wurden, die im Kern frauenfeindlich waren:

»Wir mussten ständig Diskussionen mit den Teilnehmenden führen, warum ein Text so nicht funktionieren kann und warum uns das als Frauen und als Personen verletzt […]. Und wie viele Stereotype reproduziert werden.« Alisha

Sie hätten festgestellt, dass sie sich mal unter sich treffen sollten, um einen »Safe Space« zu haben. Daraus entstanden die »fem-Treffen«: Gesprächsrunden aus zehn bis zwölf Frauen zu unterschiedlichen feministischen Themen. Sich an einem sicheren Ort zu treffen, dort gemeinsam zu lesen und sich auszutauschen, ist eine feministische Praxis mit langer Tradition. So trafen sich schon die Aktivist*innen der Frauenbewegungen in den 1970ern in Frauenzentren sowie autonomen Frauenräumen zu Lese- und Diskussionsveranstaltungen (vgl. Notz 2018: S. 28). In diese Praxis reihten sich die fem-Treffen ein. Aber irgendwann war das nicht mehr genug:

»Wir haben recht schnell gemerkt: Okay wir reden drei Stunden einmal im Monat über diese Themen, aber wir kommen nicht in Kontakt mit anderen Bewegungen. Wir kommen nicht in Kontakt mit anderen Frauen, die nicht in unserer Szene sind. […] Ich hatte schon relativ früh das Gefühl, dass ich daraus gerne was machen würde, wo auch andere Leute dran teilhaben, reagieren und in Austausch treten können.« Alisha

Darauf hatten nicht alle Lust. Übrig geblieben sind bis heute Alisha, Heike, Rebecca und Ricarda. Zum Glück hatten sie mit Ricarda eine Webdesignerin an Bord. In einer Nacht erstellte sie eine Website. Und damit ging das Online-Magazin 2017 an die Öffentlichkeit.

Wer hinter Wepsert steckt

Rebecca Faber
schreibt und liest gerne. Das hat die 31-Jährige als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der englischen Literaturwissenschaft an der LMU zu ihrem Beruf gemacht. Zurzeit ist sie auf der Suche nach einem Habilitationsprojekt.

Alisha Gamisch
lebt seit zwei Jahren in Berlin und unterrichtet dort an einer Montessori-Schule Englisch. Außerdem arbeitet die 30-Jährige als Autorin. Der Großteil ihres sozialen Lebens findet in politisch-feministischen oder literarischen Kontexten statt.

Ricarda Kiel
hat ihren Lebensmittelpunkt in Leipzig. Sie ist Lyrikerin und Unternehmerin. Außerdem hat sie lange im Wepsert– Redaktionsteam mitgearbeitet und macht jetzt im Hintergrund die Website.

Heike Fröhlich
ist 38 Jahre alt und wohnt in München. Sie ist Produktmanagerin, Redakteurin und Autorin. Ihr liebster Zeitvertreib ist das Schreiben. Daneben mag sie es, für und mit der Münchner Lyrikszene in den Austausch zu treten.

von links oben nach rechts unten: Rebecca, Alisha, Ricarda, Heike

Vom Lesekreis zum Online-Magazin

Aus der Idee, die Inhalte der »fem-Treffen« anderen Menschen zugänglich zu machen, wurde 2017 das nicht-kommerzielle Online-Magazin Wepsert. Seit 2019 ist Wepsert ein eingetragener gemeinnütziger Verein.

Nach wie vor ist der Sitz des Vereins in München. Obwohl mit Alisha und Ricarda zwei der aktiven Mitglieder in Berlin und Leipzig leben, ist München immer noch im Fokus der Aktivist*innen. Das liegt daran, dass Wepsert sich 2017 auch mit anderen Bewegungen vernetzen wollte. Es ging darum, sich am eigenen Wohnort eigene Strukturen zu schaffen. Noch heute halten sie das gerade in der bayerischen Landeshauptstadt für nötig. Hier sei die Szene im Gegensatz zu Berlin, wo es viele queerfeministische Kollektive und feministischen Aktivismus gibt, noch »sehr, sehr überschaubar« findet Rebecca. Für Wepserts Geschmack reichen die Austausch- und Partizipationsmöglichkeiten noch nicht aus.

Laut der Vereinssatzung verwirklicht Wepsert sich durch den Betrieb der digitalen Plattform und publiziert dort regelmäßig Beiträge. Darüber hinaus kann Wepsert als Verein Spenden empfangen und Fördermittel beantragen – unter anderem für Veranstaltungen. Die wiederrum können dann genutzt werden, um Teilnehmer*innen zum Beispiel für strukturelle Benachteiligungen zu sensibilisieren, gleichzeitig bieten sie Gelegenheit mit anderen feministischen Initiativen, Vereinen oder Gruppen zusammenzuarbeiten und ein Netzwerk zu schaffen.

Die Events finden meist in München statt und auch der Blog scheint vor allem regional bekannt zu sein. Während das überregionale Missy Magazine (nach eigener Angabe) online rund 100.000 Zugriffe pro Monat verzeichnet, zählt Wepsert für das ganze Jahr 2019 21.735 und für 2020 19.647 Besuche. Damit ist die Reichweite des Blogs im Vergleich noch relativ klein. Trotzdem: Mit ihren Beiträgen trägt die Wepsert-Redaktion aktiv zu einer feministischen Gegenöffentlichkeit bei. Gerade vor dem Hintergrund einer männlichen Dominanz in der deutschen Medienlandschaft halten die Redakteurinnen das für notwendig.

Der Name Wepsert

Der Name Wepsert
In einem gemeinsamen Brainstorming ließen sich die Gründungsmitglieder von Initiativen wie Slutwalk und de Gfotzerten inspirieren, die Negativ-Begriffe reclaimen [siehe: Feminismus und Sprache]. Wepsert kann man im Bayerischen als so einen Begriff sehen.

wepsert

Wäbbsàd

Adjektiv

(1) unruhig

(2) zappelig

(3) angriffslustig

(4) lüstern

(5) scharf

Wepsert e.V.

Von männlichen Narrativen und feministischer Gegenöffentlichkeit

(vgl. ProQuote 2019: 18)

Journalismus bildet Gesellschaft ab und gestaltet sie mit

Grundlegende Funktion von Journalismus ist es, Informationen zu produzieren und zu verarbeiten. »Das Wesentliche an Information ist die Eigenschaft, Veränderung im empfangenden System hervorzurufen. Ein Großteil der massenmedialen Funktionen für die Gesellschaft wird dabei durch den Journalismus realisiert. Er bietet soziale Orientierung.« (Disselhoff 2009: 77). Wenn Journalismus soziale Orientierung schafft, dann bildet er Gesellschaft einerseits ab, andererseits gestaltet er sie mit. Wie und ob über Themen berichtet wird, hat Einfluss darauf, wie sich unser Bild der Wirklichkeit entwickelt.

Wer hat die Deutungshoheit?

Die Antwort ist eindeutig: Männer. 2019 hat der Verein »Pro Quote« in einer Studie überregionale Zeitungen betrachtet. Der durchschnittliche Anteil von Frauen in Positionen wie Ressortleiterin oder Chefredakteurin beträgt demnach 25,1 Prozent. Damit wird das aktuelle Tagesgeschehen aus einer überwiegend männlichen Perspektive [siehe: Männlichkeit] betrachtet und entsprechend liegt auch die Deutungshoheit darüber eher bei Männern als bei Frauen: »[W]as Nachrichtenwert hat und was nicht, ist das historische Resultat einer immer schon männlich dominierten Medienwelt.« (Susemichel 2019). Das hat zwangsläufig zur Folge, dass bestimmte Themen und Menschen nicht abgebildet werden: »eine Spirale der Unsichtbarkeit von potenziellen Sprecher_innen anderen Geschlechts, anderer Hautfarbe, anderen Alters usw.« (Karsch 2017: 278). Das heißt: »In den sogenannten traditionellen Medien in Deutschland dominiert immer noch der weiße, ›männliche‹, heterosexuelle, christliche geprägte Blick auf die Welt, der meist als neutral präsentiert wird.« (ebd.: 279)

(vgl. ProQuote 2019: 25)

Feministische Gegenöffentlichkeit(en)

Schon aus der ersten und zweiten Frauenbewegung gingen eigene Zeitschriften und Zeitungen hervor: »Der Kampf um Öffentlichkeit war für die Frauenbewegung auch deshalb so zentral, weil er Grundfeste der bürgerlichen Geschlechterordnung berührte: die Trennung, Hierarchisierung und Vergeschlechtlichung der öffentlichen und privaten Sphäre, die den Ausschluss von Frauen begründete. Daher mussten Frauen andere Formen der Vernetzung und Einflussnahme entwickeln, um politisch Gehör zu finden.« (Schmincke 2019: 2)
Solche Publikationsorgane von Feminist*innen wirken einerseits nach innen, denn »[j]ede soziale Bewegung braucht eigene Medien, um inhaltltiche Auseinandersetzungen zu führen, gemeinsame Positionen zu erarbeiten und dabei Zusammenhalt und Zugehörigkeit zu schaffen.« (Suesemichl 2019). Im Außen dagegen können sie eine gesellschaftliche Einflussnahme bewirken (vgl. Schmincke 2019: 7). (siehe: Protest, Organisierung).

Den Anfang machte 1849 Louise Otto-Peters mit der Frauenzeitung. 1973 entstand die Frauenzeitung – Frauen gemeinsam sind stark. Es folgten kommerzielle Magazine wie die Emma. Heute gibt es verschiedene Formate. Dazu gehören zum Beispiel Magazine wie an.schläge – das feministische Magazin, das als Verein agiert und schon seit 1983 besteht, aber auch neuere wie das 2008 ins Leben gerufene, kommerzielle Missy Magazine, das sich auf Pop und Politik spezialisiert. Dazukommt der »Netzfeminismus« – webbasierte Initiativen – beispielsweise in Form von Blogs.

So gewinnen feministische Inhalte an Bekanntheit und teils greifen Mainstream-Medien sie auf. Gleichzeitig stellen die Formate ein »demokratiepolitisch unverzichtbares Korrektiv zum medialen Mainstream« (Susemichl 2019) dar und erweitern »den Raum des Denk- und Sagbaren« (ebd.) (siehe: Utopien). Zudem waren und sind feministische Publikationen »zentrale Orte, an denen Frauen mit ihren Erfahrungen ernst genommen werden und wo sie ihre feministischen Forderungen artikulieren können« (ebd.).

1849

Frauenzeitung

1974

aep informationen.
Feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft

1977

Emma

1977 – 1984

Courage

1982

Frauen*solidarität

1983

an.schläge
Das feministische Magazin

2007

Mädchenmannschaft

2008

Missy Magazine
Magazin für Pop, Politik und Feminismius

Nicht nur bloße Routine: »Heart-Check-In« am Anfang jeder Redaktionssitzung.
»Es bringt irgendwie zusammen, wo wir gerade mit unseren Befindlichkeiten sind oder woran wir gerade knabbern. Das ist einfach ein guter Gesprächseinstieg und auch ein Ort, wo man Probleme oder Ängste ansprechen kann.« (Rebecca)

Gegenöffentlichkeit – Do it yourself: Einen feministischen Blog bespielen

Hinter dem Online-Magazin Wepsert stecken ähnliche Motive wie hinter anderen feministischen Publikationen. Zunächst ging es darum, selbst einen Raum zum Austausch, einen Ort für Veröffentlichungen, aber auch einen zur Vernetzung gleichgesinnter Personen zu haben. Daneben zeigen sich Parallelen zu bereits erprobten feministischen Praxen in der Arbeitsweise von Wepsert.

Schon vor Corona arbeitete die Wepsert-Redaktion mobil. Das war schon deshalb notwendig, weil nicht alle Redakteurinnen in der gleichen Stadt sind. Dennoch gibt es feste Routinen. Alle zwei Wochen trifft sich das Team. Bevor über Bloginhalte gesprochen wird, gibt es den Heart-Check-In. Dabei sagt jede Teilnehmerin, wie sie sich heute fühlt. Das ist ein Weg einen Safe Space zu schaffen. Was die Aufgabenverteilung angeht, begegnet man sich auf Augenhöhe. Eigentlich gibt es keine festen Posten. Außer der Vorstandsvorsitzenden, die zur Vereinsgründung benannt werden musste. Sowohl in Kommunikation als auch in Aufgabenteilung ähnelt die Handhabe der Herangehensweise in der zweiten Frauenbewegung. Damals schon wollten Feminist*innen Persönliches und Arbeitsablauf unter einen Hut bringen bei gleichzeitiger Ablehnung von Hierarchien innerhalb der Arbeitsgemeinschaft (vgl. Notz 2018: 28).

Die Beitragsthemen sind unterteilt in die Kategorien Gespräche, Kunst, Politik und Gesellschaft, Popkultur sowie Veranstaltungen. Sie werden nicht nach einem festen Zeitplan bespielt:

»Wir picken die Sachen, die wir für feministisch oder gesellschaftlich relevant halten, aus den Sachen, die wir privat oder aus Lustprinzip konsumieren.« Heike

Jede findet auf andere Art ihre Themen. Ein wichtiges Gebiet für alle ist weibliche Kunst:

»Weil wir ja alle aus der Literatur-Ecke kommen, haben wir halt ein großes Ressort, wo Künstler*innen bei uns veröffentlichen können oder wir über ihre Arbeit berichten.« Rebecca

An der Art der Themenfindung kann man sehen, dass die Redaktion sich einer vorgeschriebenen Struktur tendenziell eher verwehrt. Durch die Auswahl auf individueller Ebene zeigt sich eine Verbindung von Privatem mit der redaktionellen Arbeit. Das ist teilweise praktisch motiviert: Die Mitglieder betreiben Wepsert ehrenamtlich und in ihrer Freizeit. Entsprechend richten sich die Recherchen und Texte am persönlichen Interesse aus. Dennoch wird gemeinsam diskutiert, welche Themen aufgegriffen werden und die Entscheidung, was am Ende erscheint, wird gemeinschaftlich getroffen. Hier gilt ein Vetorecht: Möchte eine nicht, dass ein Artikel online geht, geht er auch nicht online. Das entspricht dem, was Ricarda Drüeke, die sich mit digitalen Öffentlichkeiten auseinandersetzt, festgestellt hat: feministische Blogbeiträge sind häufig Ergebnis eines gemeinsamen diskursiven Prozesses (vgl. Drüeke 2019: 5).

1. Gleichberechtigung

»Grundsätzlich erstmal im klassischen Sinne eine Bewegung, die das Ziel hat, möglichst die Gleichberechtigung aller Geschlechter und aller Menschen herbeizuführen.« Alisha

3. Solidarität

»Mit Menschen, die von verschiedenen Diskriminierungsformen betroffen sind, und anderen Frauen, die diskriminiert werden, eine Solidarität herzustellen.« Alisha

2. Mehr als eine Ebene

»Traditioneller Klassenkampf ist für mich auch ein feministisches Thema. Antikapitalismus ist für mich auch ein feministisches Thema.« Heike
»Das Ziel ist sozusagen, Kämpfe gegen verschiedene Formen der Unterdrückung, nicht nur auf einer Genderebene, sondern auch auf anderen Ungerechtigkeitsebenen zu führen. Ich sehe das seht relativ stark verwoben, also ich würde uns da in einer intersektionalen Sichtweise anordnen.« Alisha

4. Privilegien hinterfragen

»Wo habe ich Nachteile zum Beispiel im Job, in der Karrierre, in der Familienplanung. Aber auch wo habe ich Privilegien, weil ich zum Beispiel eine weiße Frau bin.« Rebecca

Zusammenfassend:

Vertritt Wepsert einen Feminismus, »der verschiedene Unterdrückungsformen berücksichtigt« (Wepsert e.V.). Es handelt sich also um »intersketionalen Feminismus«. [siehe: Intersektionalität]

Plattformen schaffen

Alisha, Heike, Rebecca und Ricarda haben nicht nur für sich eine Plattform geschaffen, sondern auch für andere. Sowohl mit ihrem Blog als auch mit ihren Veranstaltungen geben sie Raum für (feministische) Perspektiven, Informationen und Netzwerkbildung.

Wichtige Begriffe bzw. Konzepte sind für Wepsert Sichtbarkeit und Empowerment.

»Als demokratisches Organ ist es uns wichtig, dass auch Minderheiten gesehen werden. Deswegen widmen wir uns schwerpunktmäßig den Stimmen, die sonst oder historisch ganz stark runtergefallen sind. Das ist das, was mit Sichtbarkeit gemeint ist. Also Sichtbarmachen von Vielfalt, von Alternativen, von Sachen, die es gibt, aber auch von hypothetischen Möglichkeiten oder Denkbarkeiten.
Empowerment als ein Stärken von den eben genannten Stimmen, die sonst leiser sind, die sonst nicht so gehört werden, das ist auch praktische Solidarität […].
Empowerment kann genauso gut sein, selbst in den Hintergrund zu treten, wenn man eine der privilegierteren Personen mit einer lauteren Stimme ist. Zu sagen: Okay, ich nehme mich jetzt in den Hintergrund und gebe einer leiseren Stimme den Raum. […] Also Klappe halten und die anderen sprechen lassen.« Heike

Das bedeutet für die Redaktion konkret:

»Eben auch anderen Frauen, PoC [People of Color], queeren Menschen, Trans- und Interpersonen mehr Sichtbarkeit zu verschaffen auch im künstlerischen und literarischen Bereich.« Alisha

Um das umzusetzen haben sie verschiedene Wege bezw. Strategien entwickelt.

Schreiben und lesen

Die erste Plattform, die Wepsert nutzt, ist der Blog. Dort wird Sichtbarkeit und Empowerment vor allem durch das Aufbrechen von Narrativen und das Zeigen positiver Beispiele gegeben.

Sie wollen der »Übermacht von weiß männlich dominierten Narrativen« (Alisha) etwas entgegensetzen. Es geht dabei einerseits darum zu zeigen: Es gibt Narrative, die alle kennen. Das heißt aber nicht, dass es die einzigen sind. Dennoch werden diese in einer männlich dominierten Medienwelt (siehe: Männlichkeit) häufig als die Norm dargestellt. Eine Strategie Wepserts ist hier zum Beispiel in Artikeln zu popkulturellen Themen aufzuzeigen, an welchen Stellen man umlernen muss. Aber: »Es bringt nicht immer so viel immer nur zu sagen: Das und das und das ist schlecht.« (Alisha) Stattdessen müsse man auch Alternativen zeigen, »indem Beispiele, Modelle hervorgehoben werden, wie es auch anders gehen kann.« (Heike)

Denn: »Es ist ja was anderes, ob wir Leute zeigen, Geschichten erzählen, feministische Aktivist*innen, die wir gut finden, die positive Beispiele sind, oder ob wir die ganze Zeit halt nur auf toxische Männlichkeit hinweisen.« (Rebecca)

Mit den Worten »Narrative aufbrechen« bezeichnet Wepsert also ihre eigene Praxis, vergeschlechtliche Normen in Frage zu stellen und stattdessen Beispiele zu zeigen, die dem »Normnarrativ« nicht entsprechen. Wepsert versucht Themen und Geschichten aus anderen Perspektiven zu erzählen. So schaffen sie eine Plattform für feministische Themen, Akteur*innen und Menschen, die von Ungleichberechtigung betroffen sind und deren Blickwinkel medial häufig nicht oder nur unzureichend abgebildet werden.

Girl Crush

In dieser Serie stellt Wepsert Frauen vor, die sie »inspirieren, faszinieren, motivieren und ganz grundsätzlich guttun.«

Sollten wir keine Bücher von weißen Cis-Männern mehr lesen?

Ausgangspunkt der Reihe ist der männlich geprägte Blickwinkel, aus dem Geschichten, Erzählungen und Bücher geschrieben werden. Wepsert führt Interviews mit Menschen, die beruflich schreiben zum Beispiel als Journalist*innen oder Autor*innen.

Das Gastartikel-Kontaktformular:

Wepsert lädt selbst Menschen ein, auf die sie stoßen, oder Leute schreiben das Magazin über die Website an und können dann Artikel veröffentlichen.

Organisieren und vernetzen

Ein häufiges Problem, das entsteht, wenn Feminismen online betrieben werden, ist der fehlende Austausch offline. Das hat auch Wepsert festgestellt:

»Als wir den Verein gegründet haben […], haben wir beschlossen, dass wir Lust haben, auch selber in real Wepsert zu präsentieren und in eine konkretere face-to-face Auseinandersetzung zu gehen. […] Das war aber jedes Mal ein bisschen herausfordernd, weil man über eine Website relativ anonym auftritt. […] Das gehört irgendwo auch dazu, wenn man sich im Internet oder in einem Magazin […] äußert, dass es einen Austausch gibt. Und man einen Realitycheck hat.« Alisha

Deshalb beschloss die Redaktion, Veranstaltungen zu organisieren (siehe: Organisierung). Eine von dreien im Jahr 2020 war das Fem Festival. Das hat Wepsert gemeinsam mit INFRA (Internationales Netzwerk von Frauen mit Rassismuserfahrungen), Mitglied des Migrantinnen Netzwerk Bayern, im Rahmen der vom Kulturreferat geförderten Reihe #sieinspiriertmich auf die Beine gestellt. Gemeinsam haben die Vereine ein Programm konzipiert, in dessen Mittelpunkt ein intersektionaler Ansatz sowie gegenseitiges Empowerment standen. Im geschützten Raum wurden deshalb zwei verschiedene Workshops angeboten, danach folgte eine öffentliche Abendveranstaltung mit Lesung und Podiumsdiskussion. Inspiration für die Veranstaltung war die Autorin Toni Morrison, die ein Jahr zuvor verstorben war.

Hier zeigen sich deutlich die Konzepte, mit denen Wepsert arbeitet: Sichtbarkeit und Empowerment. Gleichzeitig wird das Ziel klar, vernetzte Strukturen durch vereinsübergreifende Zusammenarbeit zu schaffen. Im Mittelpunkt steht zudem der intersektionale Ansatz der Redaktion:

»Intersektional denken, heißt zu erkennen, dass Weißsein mit Privilegien verbunden ist und Ungleichheitserfahrungen von rassifizierten Frauen, LGBTQ-Frauen oder Frauen mit Behinderungen sich verstärken, weil sich die Diskriminierungsebenen verschränken.« Wepsert Facebook 2020

Workshops

»Empowerment in feministischer Praxis«

Nur für Menschen »die sich als schwarz oder als People of Color positionieren«
Konzipiert und durchgeführt von Migrantinnen Netzwerk Bayern und Netzwerk Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern
Idee: Geschützter Raum, um mit Übungen, Beispielen, Gedanken und Empfehlungen Stärken und Ressourcen fördern sowie Kennenlernen und Vernetzen

»Weißsein in feministischer Praxis oder ist Feminismus weiß?«

Konzipiert und durchgeführt vom Social Justice & Diversity Institut München
Idee: feministische Positionen aus der Perspektive von BiPocs und der Bedeutung sowie Handlungsoptionen von weiß positionieren Frauen

Zusammen auf der Bühne: Podiumsdiskussion und öffentliche Abendveranstaltung beim Fem Festival.

Von den Grenzen des intersektionalen Feminismus in der Praxis

Das Fem Festival spiegelte also einen Anspruch wider, den Wepsert an sich selbst stellt: Intersektionalität. In der praktischen Umsetzung stellt sie das jedoch auch vor Hürden.

»Wir wirken auf den ersten Blick nicht besonders divers. Zum Beispiel sind wir alle weiß, in Deutschalnd geboren und aufgewachsen und haben keine sichtbaren körperlichen Behinderungen.“ Heike

Bei der Wepsert-Redaktion handelt es sich von ihrer Besetzung her um eine homogene Gruppe. Aufgrund ihrer Subjektpositionen sind sie von bestimmten Diskriminierungserfahrungen nicht so stark oder gar nicht betroffen wie andere Menschen. Deshalb verbringen die Mitglieder selbst viel Zeit damit, ihre Privilegien zu reflektieren. Doch diese Bewusstmachung und Auseinandersetzung schützt nicht automatisch davor, dass sich bestehende Privilegien in der Praxis reproduzieren.

Raum geben, teilen oder haben?
Mit dem Blog hat Wepsert eine Plattform und Gegenöffentlichkeit geschaffen. Doch es bleibt die Frage, wer diesen Raum der Gegenöffentlichkeit nutzen kann. Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, Gastartikel zu schreiben. So können sich Menschen an Wepsert wenden und nicht nur Themen vorschlagen, sondern auch Texte einschicken. Damit sind die Redakteurinnen aber auch Gatekeeperinnen: Es ist ihre Entscheidung, welche Texte erscheinen. Dadurch wird ihre selbst problematisierte Position in einem hierarchischen Verhältnis gefestigt und sichtbar.

»Wir haben alles [das Konzept zum Fem Festival] gemeinsam erarbeitet. Auf der Bühne war das nicht ganz klar, weil die Moderation von zwei weißen Frauen war. Es sah aus, als hätte sich ein weißer Verein ein paar PoC-Personen zum Lesen eingeladen. Aber so war das ja gar nicht.« Rebecca

Nicht nur für den Blog ergeben sich Differenzen zwischen Theorie und Praxis. Auch bei Veranstaltungen kann es zu Konflikten kommen in Bezug darauf, wer sich diesen Raum nehmen kann: Bei der öffentlichen Abendveranstaltung des Fem Fests meldete sich eine Schwarze Trans-Person zu Wort und kritisierte, dass man nicht nur eingeladen werden, sondern Räume für sich wolle. Das zeigt zwei Hürden, die sich in der intersektionalen Praxis ergeben. Obwohl die Veranstaltung von beiden Vereinen gemeinsam konzipiert war, entstand durch die Moderation von Rebecca und Alisha nach außen ein anderer Eindruck. Aus einem gemeinsamen Raum wurde ein Raum, den Wepsert scheinbar teilte bzw. zur Verfügung stellte. Entgegen aller Absichten wurden durch die so vergebenen Sprecher*innen-Positionen und Subjektpositionen mit ihrer jeweiligen Betroffenheit bestehende strukturell bedingte Machtverhältnisse reproduziert. Gleichzeitig wird deutlich, dass es die Aktivist*innen vor Herausforderungen stellt, alle Gleichzeitigkeiten unterschiedlicher Formen von Diskriminierung abzubilden.

Wer hat Zugang zur Gegenöffentlichkeit?

​Die Frage der Zugänglichkeit spielt für Wepsert nicht nur insofern eine Rolle, wer ihre Räume für sich nutzen kann, sondern auch dahingehend, wer sie besuchen kann. Gerade in Bezug auf ihre Blogbeiträge steht Zugang im Kontext von Barrierefreiheit und Sprache. Für Menschen, die kein Deutsch sprechen, wäre ein englischer Text nötig. Für diejenigen, die Englisch nicht verstehen, ist das wiederum schwierig. Hinzukommt die Frage, welches Vokabular verwendet wird. In der Regel ist das abhängig davon, wer die Zielgruppe ist. Darin ist Wepsert aber unentschlossen: Einerseits wollen sie Menschen, die sich noch nicht so viel mit feministischen Themen auseinandergesetzt haben, als Leser*innen erreichen, gleichzeitig wünschen sie sich durch den Blog auch eine Vernetzung mit anderen feministischen Strömungen. Alle Mitglieder thematisieren die Barrierefreiheit in Bezug auf Sprache als Problem. Hier zeigen sich erneut Grenzen in der Umsetzbarkeit von intersektionalem Feminismus. Es wird deutlich, dass es auch in einer feministischen Praxis, die im Netz angesiedelt ist, zu Ausschlüssen kommen kann.

Fortsetzung folgt

Eines der Ziele Wepserts bei der Vereinsgründung war es, Gastautor*innen eine Aufwandsentschädigung zu bezahlen. Bisher war ihnen das nicht möglich, doch für das Jahr 2021 haben sie Fördergelder für ein Schreibprojekt beantragt. Damit können sie dann – so hoffen sie – die Autor*innen finanziell unterstützen. Der größte Punkt auf der To-Do-Liste ist aber die Team-Erweiterung. Schon seit Langem haben sie sich vorgenommen, eine weitere Person in die Redaktion zu holen. Einerseits, weil sei Unterstützung brauchen, um ihre Themen und Projekte zu realisieren. Andererseits, weil sich damit die Möglichkeit bietet intern diverser zu werden. Damit bietet sich vielleicht die Chance, intersektionalen Feminismus in der Praxis gerecht(er) zu werden.

Autorin: Ilona Gerdom

Literatur
Disselhoff, Felix (2009): 3. Funktionen des Journalismus. In: Burkhardt, Steffen (Hg.): Praktischer Journalismus. München, S. 75-92.
Drüeke, Ricarda (2019): Digitale Öffentlichkeiten und feministische Protestkulturen. In: Dorer, Johanna; Geiger, Brigitte; Hipfl, Brigitte; Ratković, Viktorija (Hg.): Handbuch Medien und Geschlecht. Wiesbaden.
Karsch, Margret (2017): Feminismus. Geschichte – Positionen. Bonn.
Notz, Gisela (2018): Feminismus. Köln.
o.A.(2020): Missy Magazine. Mediadaten 2020. Print und Online. URL: https://missy-magazine.de/wp-content/uploads/2020/01/Mediadaten-2020-Missy-Magazine.pdf (25.01.21).
ProQuote Medien e.V. (Hg.) (2019): Welchen Anteil haben Frauen an der publizistischen Macht in Deutschland? Eine Studie zur Geschlechterverteilung in journalistischen Führungspositionen. Teil II: Presse und Online-Angebote. URL: https://www.pro-quote.de/wp-content/uploads/2019/11/ProQuote-Studie_print_online_digital-2019.pdf (25.01.21).
Schmincke, Imke (2019): Die Neue Frauenbewegung in den Medien. In: Dorer, Johanna; Geiger, Brigitte; Hipfl, Brigitte; Ratković, Viktorija: Handbuch Medien und Geschlecht. Wiesbaden.
Susemichl, Lea (2019): Das große Ganze. Feministische Medien berichten nicht nur über sogenannte »Frauenthemen«, sondern machen deutlich, dass jedes Thema feministisch ist. Und verändern damit die Welt. In: an.schläge. Das feministische Magazin. Ausgabe 5/2019. URL: https://anschlaege.at/das-grosse-ganze/ (25.01.21).
Wepsert e.V. (o.A.): Über uns. URL: https://www.wepsert.de/crew (01.03.21).
Wepsert Facebook (2020): Workshops FEM Festival im Kulturzentrum Giesinger Bahnhof. URL: https://www.facebook.com/events/1018618315207152 (13.01.21).
Bildquellen:
Foto von Gründerinnen: Wepsert e.V..
Foto Fem Festival / Instagram: Wepsert e.V., 2020.
Foto Fem Festival / Bühne: David Reich, 2020.