Den Wunsch nach der Transformation (bestimmter) gesellschaftlicher Verhältnisse teilen fast alle Forschungsfelder dieses Projektes. Ihre politische Praxis soll einen Wandel der Geschlechterverhältnisse bewirken. Dabei wird Wandel allerdings sehr unterschiedlich gedacht. Je nachdem ob sich die Akteur*innen selbst als politisch Handelnde verstehen oder ob es sich um institutionalisierte oder aktivistische Gruppen handelt, wird entweder ein Wandel in Form von Reformen innerhalb der bestehenden Strukturen angestrebt oder für eine umfassende Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse gekämpft (vgl. Faust 2019: 294 f.). Es geht also um die Frage: Soll/Kann Wandel erreicht werden, indem sich ein Platz im Spiel erkämpft und angeeignet wird und möglichst erfolgreich gespielt wird oder geht es darum die Spielregeln zu ändern (vgl. Adamczak 2017)?
Bei denjenigen Feldern, die gesellschaftliche Verhältnisse als Ganzes transformieren wollen und damit sowohl patriarchale als auch kapitalistische und rassistische Ausbeutungsverhältnisse und Unterdrückungsstrukturen bekämpfen, tun dies zumeist aus einer geteilten bzw. verhandelten Vorstellung eines besseren gesellschaftlichen Zusammenlebens, einem Wunsch nach einer befreiten Gesellschaft, aus gemeinsamen Utopien heraus. Dies trifft vor allem auf aktivistische Felder wie ASAM, Ni Una Menos und den Slutwalk zu. So können Utopien einen starken Antrieb für kollektive politische Praxen darstellen, wenn sie gewissermaßen als gemeinsames Ziel verstanden werden, auf das sich dieses Handeln letztendlich richtet.
Dieses Ziel muss jedoch unerreichbar bleiben, wenn Utopien beispielsweise nach Adorno (2003) aus der gegenwärtigen Situiertheit in gesellschaftlichen Strukturen, die von kapitalistischen Logiken durchdrungen sind, nicht einmal wirklich imaginiert werden können. Da es kein »Außerhalb« dieser Strukturen gibt, drohen diese alle Vorstellungen einer besseren Welt zu vereinnahmen. Dieses Verhaftetsein in Strukturen, die den Rahmen des Denkbaren limitieren, zeigt sich in denjenigen Feldern, die die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend kritisieren und dabei z.B. auch kapitalistische Verwertungslogiken ablehnen und dadurch trotzdem nicht vor der Vereinnahmung durch diese geschützt sind, wenn sich beispielsweise der Leistungsanspruch in der politischen Arbeit der Gruppe reproduziert. Utopien können demnach nach Adorno nur negativ gedacht werden, also als eine Kritik der Gegenwart, die benennt was in dieser bekämpft werden muss, um ein gerechteres Zusammenleben zu ermöglichen. Es geht also vor allem darum was die Utopie nicht ist bzw. nicht sein kann oder darf (vgl. ebd.).
Trotz der begründeten Warnung vor Vereinnahmungen des politischen Denkens und Handelns birgt dieses Verständnis allerdings die Gefahr der Resignation, da für politische Akteur*innen wenig Handlungsspielraum bleibt, wenn Utopien für immer unerreichbar in der Zukunft verortet bleiben. Eine andere (wenn auch durchaus daran anknüpfende) Möglichkeit Utopien zu denken, ist, diese nicht nur als Ziel, sondern bereits als Teil von Transformationsprozessen zu begreifen. Utopische Momente sind dann bereits in der Gegenwart in selbstgeschaffenen Zwischenräumen zu finden, die vor allem aus den Beziehungsweisen zueinander und deren gemeinsamer Aushandlung und Gestaltung bestehen (vgl. Adamczak 2017). Diese Zwischenräume müssen dabei kontinuierlich kritisch reflektiert und dahingehend befragt werden, ob und inwiefern sie (noch) ein Gegenmodell zu gesellschaftlichen Verhältnissen darstellen, die durch die gemeinsame politische Praxis überwunden werden sollen. Dieses praxis- und beziehungstheoretische Konzept von Utopien versucht so jedoch nicht »eine perfekte Welt imperfekten Bewohnerinnen auf[zu]zwängen« (ebd.: 255), weil diese selbst es sind, die diese Welt kollektiv Schritt für Schritt transformieren und gestalten und dabei gewissermaßen fließend in sie hineinwachsen. Es bietet sich hier also das Potenzial die trägen und beharrlichen gesellschaftlichen Strukturen der Gegenwart herauszufordern und dabei neue Formen des Denkens und Handelns und neue Formen der Beziehungsgestaltung zu erproben, die die angestrebte Utopie letztendlich ausmachen (vgl. Adamczak 2017; Faust 2019).
Literatur:
Adamczack, Bini (2017): Beziehungsweise Revolution. 1917, 1986 und kommende. Berlin.
Adorno, Theodor W. (2003): Negative Dialektik. Frankfurt a.M.
Faust, Friederike (2019): Fußball und Feminismus. Eine Ethnografie geschlechterpolitischer Interventionen. Berlin.
von Helena Eisenburg
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